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Kamenzerin berichtet aus Japan

Veronika Arnold aus Kamenz studiert Internationales Transportmangement und verbringt ein halbes Jahr in Japan. Die 22-Jährige schreibt nicht nur Familie und Freunden Mails aus Tokio, sondern schickt auch der Sächsischen Zeitung Auszüge aus ihrem Reisetagebuch. Hier die spannendsten Erlebnisse zum Nachlesen:

privat10.11.2012: Massen auf dem Weg zur Arbeit

Meine Fahrtzeit zum Büro beträgt 20 Minuten. 20 Minuten, um die wildesten Sachen zu erleben. Im Drei-Minutentakt kommt ein Zug, was vermuten lässt, dass die Dinger leer sind. Fehlanzeige! Der überfüllte Zug macht an meiner Station halt und ich denke mir: „Hier passt nichts mehr rein – außer ich natürlich!“ Eine Station weiter warten jedoch am Gleis mit je zwei Meter Abstand mindestens 50 Schlangen mit je 15 Leuten pro Schlange auf die Massenabfertigung.

Das erste Mal dachte ich mir: „Klar, da passen noch zwei Leute in den Zug und dann fährt das Ding weiter“. Ich wurde eines Besseren belehrt. Es wird gepresst und gequetscht bis der Letzte seinen Platz im Zug gefunden hat. Es ist schlimmer als Sardinen in einer Blechbüchse. Der Vorteil? Man muss sich nicht mehr festhalten, denn der Druck der Masse hält einen fest!

Ich habe das Glück, dass dieser Quetschmodus auf meiner Strecke nur für wenige Stationen anhält und ich mich meistens nach drei bis vier Stationen hinsetzten kann. Was sehr angenehm ist, ist der Fakt, dass man am frühen Morgen nicht vom lauten Musikgedröhne genervt wird. Es wird auch nicht geredet. Der Japaner liest im Zug. Keine Zeitung natürlich, denn im High Tech Land ist man digital unterwegs und stöbert auf Internetseiten seines Smartphones.

17.11.2012:  Klebrig süß – so nascht man in Japan
Essen ist hier unglaublich teuer. So zahlt man beispielsweise für einen Apfel umgerechnet 1,40 Euro, für vier Tomaten 4 Euro und ein halbes Kilo Müsli 10 Euro. Die Portionen sind auch eher klein, sodass es mich wundert, dass es überhaupt ein japanisches Wort für groß gibt.

Einmal hatte mich ein Japaner in ein Desserthaus eingeladen. Ich entschied mich für ein Rote-Bohnen-Püree namens Anko, was so unglaublich gezuckert war, dass der ursprüngliche Geschmack der Bohne nicht mehr zu identifizieren war. Dazu nahm ich Dango. Das sind Wachtelei große, weiße Kugeln, die aus Reismehl und Wasser hergestellt werden. Den Reisgeschmack schmeckt man nur ganz leicht im Abgang. Bei diesen Reisbällchen geht es wohl eher um die Konsistenz, als um den Geschmack, denn die Dinger kleben furchtbar zwischen, in und auf den Zähnen.

Mein Gegenüber entschied sich für Anmitsu, also Eis mit Geschmack von grünem Tee oder Azukibohnen. Dazu gab es Kaffeebohnen zum Schnurpsen und geschmacklosen, transparenten Geleewürfel (Agar), die mich an Wackelpudding erinnerten. Statt Kaffee wird übrigens ungezuckerter, grüner Tee serviert, der eher nach Wiese als alles andere schmeckt! Ansonsten gibt es unzählige Schlemmereien, wie Kidneybohnenzuckerbrei in Teigtaschen, Kekse mit eigenartigen erdnussähnlichen Bohnen und, und, und!

26.11.2012: Vergorene Enteneier probiert
Ganz wichtig: Bevor man anfängt zu essen, reinigt man sich die Hände mit einem warmen Tüchlein, welches zur Mahlzeit serviert wird und sagt „Itadakimasu“, was so viel heißt, wie „Ich empfange das Essen“ – eine Art „Guten Appetit“. Am Ende des Gerichts, schließt man mit den Worten „Gochisoosama deshita“, was sinnbildlich „Danke für das gute Essen“ heißt!

Ich habe die japanische Art der Gerichte sehr lieben gelernt, weil es von allem viele kleine Portionen gibt. Ist ein bisschen wie Tapas, wo man von allem probieren kann – nur eben auf asiatisch. Bisher habe ich außerdem Qualle, vergorene Enteneier, Muschelfleisch, unterschiedlichsten rohen Fisch, rosa gefärbte Zuckerflocken und viel Wasabi und Ingwer gegessen. Man kommt einfach nicht drum herum.

Eines der wohl absurdesten Gerichte hier ist Natto. Natto sind vergorene Sojabohnen, die unglaublich schlierig sind. Isst man Natto zum Frühstück, so wie ich es getan habe, hat man noch den ganzen Tag seinen „Spaß“ damit, denn die zwischen den Bohnen hängenden Fäden kleben einfach überall. Den ganzen Tag hatte ich das Gefühl, ich hätte Sekundenkleber zwischen meinen Fingern, dabei hatte ich die Portion mit Stäbchen gegessen.

8.12.2012: Mein erstes großes Erdbeben
Wer gestern Morgen Nachrichten gehört hat, wird von dem aktuellen Erdbeben erfahren haben. Es hatte eine Stärke von 7.4 und erreichte Tokio mit einer Stärke von etwa vier! Es fing leicht an, aber als es nach zehn Sekunden immer noch nicht aufhörte und auch nach einer Minute noch wackelte, war allen klar im Büro: Das war ein großes!

Als Unerfahrene weiß ich die Gefahrenquelle schlecht bis gar nicht einzuschätzen. Aber spätestens als mein Chef panisch wurde, wusste auch ich, dass es ein abnormal starkes Beben war. Mein Puls raste und das Schlimmste war, dass man nie wusste, ob es besser oder schlimmer wird, weil sich ein Beben auf- und wieder abbaut! Kurz darauf ging auch schon eine Tsunamiwarnung für die nordöstliche Küste heraus. Einen Meter soll die Welle hoch sein! Alle Züge standen plötzlich still. Das passiert nur bei Taifun, Erdbeben oder Suizid.

Dann ein zweites Nachbeben! Und parallel dazu ein Anflug von E-Mails: „Alles ok bei euch/dir?“ Ja, bisher fand ich es immer lustig, wenn früh sechs Uhr das Bett wackelte, aber spätestens seit gestern werde ich dem Unmut der Erde mit Respekt entgegen treten, so wie es wohl die meisten Japaner machen.

28.12.2012: Es gibt hier kein Weihnachten!
Die letzten Wochen waren für mich wie ein deutscher November. Was sonst noch an die angeblich besinnlichste und schönste Zeit im Jahr erinnert, sind wohl nur die tausend und Abertausend Lichterketten. Jeder Busch funkelt hier rosa, die kahlen Bäume haben weiße Lichterkettenblüten und in den Einkaufshallen findet man weihnachtliche Figuren in Neonfarben. Wenn man Glück hat, findet man einen amerikanisch überfüllt, glitzernden Weihnachtsbaum.

Aber da hier so oder so alles das ganze Jahr über leuchtet, fällt auch das nicht wirklich auf. Unser Büro sieht aus wie immer, nur dass wir Weihnachtskarten von Kunden geschickt bekommen, die eher als Season’s Greetings als Frohe Weihnachten- Karten abgetan werden. Im Gegensatz zu der typisch deutschen Weihnachtsfete ist hier das Bounenkai üblich, eine „Lasst uns das Jahr-Vergessen-Fete“. Letztendlich ist Weihnachten in Japan wie bei uns Silvester.

Man kann sagen, dass es genau umgekehrt ist. Während wir Weihnachten in Familie verbringen, gehen die japanischen Pärchen oder Freunde feiern, was wir eher am 31. Dezember machen. Teure Geschenke werden trotzdem erwartet und verschenkt. Neujahr ist hier dafür das Fest der Familie.

Das ganze Land ist in Bewegung und auf dem Weg in die Heimat, um mit den Angehörigen zur Jahreswende einen Tempel aufzusuchen, um Glück für das kommende Jahr zu bitten. Ich mag es mir nicht vorstellen, wie Abertausende Japaner sich um einen Tempel wimmeln. Normal ist es, dass alle Flüge, Züge, Bahnen noch überfüllter sind und die Ticketpreise 30 Prozent Aufpreis haben.

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