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Im Blickfeld des Angeklagten

Julia Lachmann (22) war als Praktikantin acht Wochen für die Dresdner Stadtredaktion unterwegs. Ihr letzter Tag, erzählt sie, war zugleich der spannendste:

Julia_Lachmann

Kurz vor neun Uhr morgens wartet der Gerichtsreporter Alexander Schneider schon vor dem Dresdner Amtsgericht auf mich. Zusammen gehen wir an den Sicherheitsbeauftragten vorbei, ein paar Schritte zum Schwarzen Brett. Auf verschiedenen Zetteln stehen die wichtigsten Stichwörter und Abkürzungen zu allen möglichen Prozessen: Worum es bei den jeweils anstehenden Gerichtsverhandlungen geht, wie lang der Prozess dauern soll und in welchem Saal sie stattfindet.

Nachdem Alexander Schneider mir alle Abkürzungen entschlüsselt hat, laufen wir zu einer Verhandlung. Da es sich bei diesem Fall schon um den zweiten Teil handelt, hat er mir einen Abend zuvor Artikel aus dem Archiv darüber gegeben. Damals wurde die Sitzung vertagt, weil der zuständige Richter in der Zeit verstarb. Damals wie heute geht es um einen Untreue-Fall in Tirol. Die Angeklagte war als Kassiererin an einer Tankstelle angestellt. Ihre Aufgabe war es, zur Tatzeit das eingenommene Geld zu einem Tresor zu bringen. Dort kam es aber nie an.

Ich bin ein wenig aufgeregt, als wir in der ersten Reihe Platz nehmen, um die Geschehnisse bestmöglich zu verfolgen. Die Angeklagte zeigt während des gesamten Prozesses nicht ein einziges Mal ihr Gesicht. Sie sitzt schräg zum Richter gerichtet und ihre gefärbten, blonden Haare sind mit Absicht so gelegt, dass wir sie nicht erkennen können. Wir schreiben alle wichtigen Informationen mit und gehen nach dem Urteil aus dem Saal.

Kein Kleinkrimineller auf der Anklagebank

Was ich nicht weiß, Alexander Schneider hat schon einen weiteren Prozess, der bereits läuft, im Auge. Wir rennen sofort zum nächsten Gerichtssaal. Dieser ist viel größer, weil es sich um einen schwerwiegenderen Prozess handelt. Als wir uns wieder einmal in die erste Reihe setzen, wird mir klar, dass auf der Anklagebank kein Kleinkrimineller sitzt. Er trägt Handschellen und zwei Polizisten bewachen ihn. Wie sich herausstellt, handelt es sich beim Angeklagten um einen Messerstecher. Dieser wurde nur aufgrund eines Tschechienausfluges überführt. Der Mann wollte nach seiner Tat nicht fliehen, sondern sich dort harte Drogen beschaffen. Auf den Weg dahin kam er bei einer Autobahn auf die falsche Fahrbahn. Er war also plötzlich als Geisterfahrer unterwegs.

Die zuständigen Polizeibeamten wurden auf ihn aufmerksam und verfolgten ihn. Als sie es schafften, diesen Mann zu fangen, wussten sie noch nichts von seiner schrecklichen Tat. Er hatte zuvor einen Mann bei sich zu Hause niedergestochen, weil dieser wohl eine Affäre mit seiner Frau hatte. Er setzte die Polizisten darüber nicht in Kenntnis und blieb stattdessen ganz normal. Seine blutverschmierten Klamotten erklärte er mit einer angeblich harmlosen Schlägerei. Als die Beamten aber auch einige Messer auf dem Beifahrersitz seines Autos sahen, verhafteten sie ihn.

Interviews mit Zeugen und Anwälten

Während ich das alles im Gerichtssaal mitbekomme und mir den Täter angucke, schaut er zugleich mich an – mir ist ein wenig komisch zumute. Aber plötzlich fällt das Wort „Pause“ und schon ist Alexander Schneider schon rausgerannt. Ich rannte also schnellstens hinter ihm her. Denn man führt während der Pausen Interviews mit Zeugen und Anwälten, um als Journalist jegliche Information zu bekommen, um einen fehlerfreien und informativen Artikel schreiben zu können.

Nachdem wir also während der Pause mit allen wichtigen Leuten gesprochen haben, fahren wir zur Redaktion. Dort darf ich dann den gesamten Artikel über den Untreu-Fall in Tirol schreiben. Dies ist nicht nur mein letzter Praktikumstag, nein, zugleich auch der aufregendste.

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