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„Nirgends ist die Aufarbeitung schmerzlicher als auf lokaler Ebene!“

Die Stasi vor unserer Tür: Die Lokalredaktion Riesa der Sächsische Zeitung startet Serie zum Ministerium für Staatssicherheit (MfS), kurz Stasi. 

03.11.2014, Riesa Jens Ostrowski, Lokalchef, SZ Riesa
Jens Ostrowski ist der Redaktionsleiter in Riesa. Foto: Sebastian Schultz

 

Zweieinhalb Jahre Arbeit, 4.000 Seiten Aktenmaterial, 8.000 gefahrene Kilometer, über 30  Interviews mit Opfern, Tätern, Stasi-Experten und Psychologen: Die Lokalredaktion der Sächsischen Zeitung Riesa startet am 8. November ihre Serie „Die Stasi vor unserer Tür“ und ist damit eine der wenigen Lokalredaktionen in Ostdeutschland, die sich bislang auf lokaler Ebene an das heikle Thema herangewagt haben. „Nicht wenige Menschen aus der Region wollen die Stasi-Vergangenheit lieber ruhen lassen“, sagt Redaktionsleiter Jens Ostrowski mit Blick auf Anfeindungen, die es während der Recherchen immer wieder gegeben habe. Auf offene Türen hingegen sei die Redaktion bei den Verfolgten der Staatssicherheit gestoßen. „Viele haben bis heute mit psychosomatischen Störungen zu kämpfen. Ihnen hilft es, wenn das Unrecht anerkannt wird, das ihnen widerfahren ist. Und das geht nur durch Aufarbeitung.“

 

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Das sehen auch Experten so. „Aus unserer Sicht gibt es viel Nachholbedarf, was die Aufarbeitung des Staatssicherheitsdienstes im ländlichen Raum betrifft. Denn erst durch die Kreisdienststellen der Stasi ist es dem Machtapparat möglich geworden, die Menschen so flächendeckend zu kontrollieren. Es ist eine Besonderheit, dass eine Lokalredaktion diese Aufgabe übernimmt“, sagt Karl Hafen, Geschäftsführer der Gesellschaft für Menschenrechte im Frankfurt am Main, die damals viele DDR-Bürger aus Riesa auf ihrem Weg in die Freiheit unterstützt hat.

Dagmar Hovestädt, Sprecherin der BStU, betont: „Es ist nicht alltäglich, dass eine Lokalredaktion sich der Herausforderung stellt, im Archiv der Stasi-Unterlagen-Behörde die Vergangenheit des eigenen Ortes zu recherchieren. ‚Die Stasi vor unserer Tür‘ ist daher ein besonderes Projekt, engagiert und umfassend recherchiert, das ein Vorreiter ist. Die Stasi-Unterlagen eignen sich auf eine ganz spezielle Art dazu, eine ‚politische Heimatgeschichte‘ zu schreiben, die gerade auch in der Lokalzeitung zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte besonders anregen kann.“

Vor allem eine Frage stellte sich der Redaktion während der Recherchen: Werden auch Namen von Tätern genannt? „Da kommen wir nicht drum herum“, sagt Jens Ostrowski. Es gehe zwar nicht darum, Offizielle und Inoffizielle Mitarbeiter flächendeckend zu enttarnen – „Wir würden uns aber lächerlich machen, von Aufarbeitung zu sprechen und gleichzeitig die wichtigsten Schlüsselfiguren in offizieller und inoffizieller Funktion nicht zu nennen“, betont er.

Rund 30 Teile umfasst die Serie, die sowohl die Strukturen des Riesaer MfS als auch ganze Operative Vorgänge offenlegt, die 25 Jahre nach der Wende so gut wie unbekannt geblieben sind. „Dass sich ein 28-jähriger Riesaer in den 70er Jahren selbstverbrannt hat; dass hier der erste Massenprotest der DDR-Geschichte ausgebrochen und anschließend brutal niedergeschlagen wurde; dass Menschen von hier zu Tausenden bespitzelt, isoliert, psychisch und teilweise sogar körperlich gefoltert wurden, sind Fakten, die zur Stadtgeschichte gehören, aber nie öffentlich geworden sind“, sagt Ostrowski. Auch heute sei die Redaktion bei ihren Recherchen noch auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Nicht nur bei Tätern. Roland Jahn, Chef der BStU, kennt dafür Gründe: „Nirgends ist die Aufarbeitung schmerzlicher als auf lokaler Ebene, wo sich die Menschen kennen, wo sich Täter und Opfer immer wieder begegnen. Es kann sein, dass es deshalb in der Vergangenheit bei der Aufarbeitung Hemmschwellen gab“, sagte er im Interview mit der Redaktion.

Klar ist aber auch, dass die Serie in der Sächsischen Zeitung nur ein Anfang der Aufarbeitung im Altkreis Riesa sein kann. „4.000 ausgewertete Seiten Aktenmaterial, das sind etwa acht Leitz-Ordner. In den Archiven der BStU schlummert zur Kreisdienststelle Riesa allerdings Material, das 18 laufende Meter umfasst und darauf wartet, aufgearbeitet zu werden“, sagt Jens Ostrowski. „Es gibt also noch viel zu tun!“

Von Kevin Schwarzbach

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