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Schreibwerkstatt Teil III: Die Reportage

Seite 3: Der Platz für Reportagen in der SZ. Foto: Marco HenkelWas macht eigentlich eine gute Reportage aus? Wie schreib ich eine knackige Meldung? Und was war noch einmal ein Feature? In unserer neuen Serie “Schreibwerkstatt” wollen wir euch beibringen, worauf es bei den verschiedenen journalistischen Darstellungsformen ankommt. Teil 3: Die Reportage.

Die Reportage gilt als Königsdisziplin des Journalismus. Das ist nicht leicht und erfordert vor allem eines: Übung. Im Gegensatz zur Nachricht oder zum Bericht ist es nicht Aufgabe der Reportage den Leser umfassend zu informieren, sondern eher zu unterhalten.  Eine Reportage bildet immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit ab und kann deswegen keine streng nachrichtlichen Texte ersetzen. Vielmehr sind Reportagen eine Ergänzung, die dem Leser noch einmal einen ganz anderen Zugang zu einem Thema ermöglicht. Der Reporter versucht den Leser an einem Ereignis teilhaben und so die Atmosphäre vor Ort spüren zu lassen. Oder anders gesagt: Die Reportage erzeugt beim Lesen ein Kino im Kopf.

Der Schreibstil einer Reportage muss daher sehr plastisch und anschaulich sein. Dazu ist es nötig, den Schreibtisch zu verlassen, raus zu gehen und detailliert zu beobachten. Denn kleine Details fördern die Authentizität. Für eine Reportage reicht es beispielsweise nicht, nur mit einem Menschen zu reden. Besser ist es etwa, Menschen miteinander reden zu lassen, dies zu beobachten und daraus Schlüsse zu ziehen.

Wie wählt man die richtigen Szenen für die Reportage aus?

Damit die Szenen nicht beliebig wirken, ist es wichtig sich vor dem Schreiben eine These zu überlegen. Diese These ist das Ergebnis der vorherigen Recherche, also die Quintessenz aller Interviews und Beobachtungen, die man im Vorfeld geführt bzeziehungsweise gemacht hat. Anhand dieser These wählt man die Szenen für die Reportage aus. Passt eine Szene nicht zur These, sollte man sie weglassen.

Generell gibt es keine Standardstruktur oder Musterlösungen für eine gute Reportage, doch lässt sie sich grob in drei Bereiche gliedern: Einstieg, Hauptteil und Ausstieg. Für den Einstieg eignen sich besondere Szenen. Sie sollten den Leser neugierig machen und möglichst Ort, Zeit und handelnde Personen einzuführen.

  • Beispiel: „Vor dem Haus für demente Menschen steigt im Januar 2007 eine Dame aus einem silberfarbenen Audi. Der Fahrer, ein Herr mit Hut und Einstecktuch, reicht ihr den Arm. Sie blickt kurz auf; dann schiebt sie seinen Arm zur Seite. Die Dame lässt sich nicht gern helfen, schon gar nicht von ihrem Mann.
    Ein halbes Jahrhundert lang führte Marita Lang die Familie an; ihr Gesicht, 82 Jahre alt, spiegelt noch immer Tatkraft und Eigensinn, Spott, manchmal Freude. Seit einiger Zeit, die Abstände werden kürzer, tauchen auch verstörende Zweifel und Verzweiflung auf. Doch Frau Lang will von ihren Zweifeln nichts wissen.
    „Das Alter“, sagt sie, wenn ihr Worte oder Taten fehlen.“(Katja Thimm – Rolf, ich und Alzheimer)

Auch der Hauptteil besteht vor allem aus Szenen. Um den Text abwechslungsreich zu gestalten ist es ratsam, beim der Auswahl der Szenen für Abwechslung zu sorgen, also zum Beispiel Standort, Perspektive und Tempo zu variieren.

Für den Ausstieg bietet es sich häufig an, den Einstieg noch einmal aufzunehmen und so eine Klammer zu schließen oder die Hauptperson erneut auftreten zu lassen.

  • Beispiel: „Großmann lässt sich in einen Sessel sinken, er sieht erschöpft aus. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragt er. »Ich bin doch Vergangenheit. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.« Großmann lässt sich vom Kellner ein Glas Whiskey bringen, nimmt einen Schluck und redet von Millionenbeträgen, die er seinem Land geschenkt habe. Es geht viel durcheinander in diesem Moment. Dann fängt er an zu weinen und sagt: »Ich bekomme Morddrohungen.« Er ballt die Hände, presst sie unter seine Augen und baut mit den Fäusten einen Damm gegen die Tränen. Er setzt noch einmal an, er will noch etwas sagen, aber es kommt nichts mehr heraus. Wie erschlagen liegt er da. Er ist eingeschlafen.“ (Stefan Willeke: Der letzte Saurier)

Was ist beim schreiben noch zu beachten?

  • Bei der Recherche ist ein gutes Wahrnehmungsvermögen gefragt. Es ist wichtig das unkonventionelle und überraschende Detail zu finden.
  • Reportagen werden im Präsens geschrieben
  • Gattungsbegriffe (ein Mann, ein Haus) sollten wenn möglich vermieden werden. Für Spezifizierungen nicht übermäßig viele Adjektive (Bsp: der alte Mann, das große Haus), sondern durch bestimmtere Begriffe (der Senior, die Villa).
  • Eine Reportage lebt von starken, besonderen Verben. Sie transportieren ein Geschehen besonders plastisch. (Bsp.: „Endlich, mit einer Stunde Verspätung, schiebt sich ein 2,04 Meter großer Riese die Stufen der Treppe hinunter, die den Südflügel des Hotels Okura in Tokyo mit dem Hauptgebäude verbindet.“ Stefan Willeke – Der letzte Saurier)
  • Eindrücke vermittelt man durch Beschreibung, nicht durch benennen. (Bsp: S. zittert, tränen kullern über ihre Wange. vs. S. weint.)

Link zu den zitierten Reportagen:

Stefan Willeke  (Zeit): http://www.zeit.de/2011/29/DOS-grossmann/komplettansicht. Die Reportage wurde mit dem Henri-Nannen-Preis 2012 ausgezeichnet.

Katja Thimm (Spiegel): http://www.spiegel.de/spiegel/a-623018.html. Die Reportage wurde mit dem Henri-Nannen-Preis 2006 ausgezeichnet.

 Von Marco Henkel