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Ein Sommer in Hoyerswerda

Tobias Hoeflich war über seine erste Volontariatsstation zunächst wenig begeistert. Doch nach den drei Monaten denkt er anders über die klischeebehaftete Stadt.

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Tobias Hoeflich im neuen, sozialistischen Zuhause.

Zugegeben, ich musste schlucken. Eben noch schnellten die Mundwinkel nach oben, als mich der stellvertretende Chefredakteur zur Volontärsstelle beglückwünschte. Aber dann dieser Satz: „Ihren Sommer verbringen Sie in Hoyerswerda.“ Uff, das saß. Und die Mundwinkel senkten sich fast auf Kinnhöhe. Hoyerswerda? Ist das nicht diese Plattenbaustadt, wo sich nichts rührt außer der Abrissbagger? Wo nur noch deshalb junge Leute wohnen, weil die vielen Alten ja gepflegt werden wollen? Und mussten hier nicht einst Asylbewerber um ihr Leben fürchten, weil ein aggressiver Mob vorm Flüchtlingsheim wütete?

Meine erste Fahrt am 1. Juni, vom heimischen Dresden in die Stadt im Norden des Landkreises Bautzen, glich daher einer Reise ins Ungewisse. Das Büro der Lokalredaktion liegt am Lausitzer Platz, das Herzstück des neuen, DDR-geprägten Hoyerswerdas. Liebhaber historischer Altstädte dürften hier die Nase rümpfen, doch auf dem Platz geht es durchaus lebhaft zu. Hier trifft man sich, um zu plauschen, über den Markt zu schlendern oder ins „Lausi“, das Lausitzcenter, zu gehen. Lokalchef Uwe Schulz begrüßte mich herzlich und stellte mir das sympathische Team vor, das hier den Hoyerswerdaer Lokalteil der SZ beisteuert.

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Mehr als Platte: Hoyerswerdaer Altstadt.

Die erste Überraschung folgte schon an Tag 1 beim ersten Rundgang durch mein Zuhause-auf-Zeit. Dass Hoyerswerda eine Altstadt hat, war mir nicht bewusst. Zwar klein, aber durchaus ansehnlich, präsentiert sich das Areal rund um den zentralen Marktplatz mit dem Rathaus. Und gleich der nächste Schock: Hier werden ja Häuser neu gebaut und nicht nur abgerissen! Auch thematisch bot das Leben in der Stadt und drumherum genug Stoff für spannende Geschichten. Und das im Sommerloch. So war ich etwa dabei, als das neue, tonnenschwere Fahrgastschiff fürs Lausitzer Seenland per Kran ins Wasser gehievt wurde. Ebenso berichtete ich vom tagelangen Hungerstreik von Hoyerswerdaer Asylbewerbern.

Lokalchef Uwe Schulz überließ mir nicht nur diese wichtigen Geschichten, sondern bot mir zusätzlich die Möglichkeit, selbst zu fotografieren und eine eigene Serie auszuarbeiten. So konnte ich mich auch persönlich weiterentwickeln und lernte parallel zu meinen Recherchen die Vorzüge der Region kennen: Nach Dienstschluss hatte ich die Qual der Wahl, an welchem der vielen herrlichen Strände im Seenland ich den Feierabend verbringe, während meine Dresdner Kumpels sich in die überfüllten Freibäder quetschten. Und wenn ich doch mal nicht die Nacht in der von der Redaktion angemieteten Neubauwohnung verbringen wollte, war der Weg von Hoyerswerda nach Dresden mit gut einer Stunde Fahrtzeit auch keine unüberwindbare Distanz.

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Sonnenuntergang im Seenland.

Das alles heißt freilich nicht, dass die vielen Klischees und Vorurteile über Hoyerswerda aus der Luft gegriffen sind. Ja, vor allem alte Leute dominieren das Straßenbild. Und ja, auch derzeit werden wieder Häuser aus DDR-Zeiten abgerissen. Es gibt keine große Auswahl an Restaurants, Bars und Clubs. Aber während meiner drei Monate habe ich hier viele Leute, auch junge, kennengelernt, die gern in Hoyerswerda leben und mit ihrem Engagement die Stadt auch lebenswert machen. Hoyerswerda auf Überalterung und Plattenbau zu reduzieren, wird der „Hauptstadt des Seenlands“ nicht gerecht. So hat sich mal wieder bestätigt, dass man sich eben nicht von Vorurteilen und vom Hörensagen leiten lässt, sondern sich besser selbst ein Bild vor Ort macht. Eine Lektion, die nicht nur fürs Leben generell, sondern auch und gerade für die Arbeit als Journalist eine Maxime sein sollte.

Fotos: Tobias Hoeflich (2), Selbstauslöser

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