Das Haus der Presse in Dresden.
Wie geht Journalismus

Was ist ein Volontariat?

Ein Volontariat ist der Einstieg in die meisten Journalistenberufe, ob Hörfunk, Fernsehen, oder eben Zeitung. Da dieser Blog vom Berufseinstieg handelt und auch von den SZ-Volos betrieben wird, stellen wir hier in einem kurzen Video vor, wie das Volontariat bei der Sächsischen Zeitung abläuft.

Bei der SZ gibt es meist vier bis sechs Volontär*innen zeitgleich. Die Ausbildung dauert zwei Jahre und man tingelt durch die meisten überregionalen Ressorts und einige Lokalredaktionen. Zwischendurch gibt es Schulungen, Workshops, Projekte und einen einmonatigen Aufenthalt an der Henri-Nannen-Schule. Der Name Volontariat kommt eigentlich von Freiwilligkeit und damit hat es wenig zu tun. Ehrliches Geld für ehrliche Arbeit gibt es, na wenn das nichts ist!

In diesem kurzen Video erklären euch die Volontäre Niels und Martin, wie das Volontariat bei der Sächsischen Zeitung abläuft.

Ein Stapel Zeitungen liegt auf einem Tisch.
Erfahrungsbericht

Die Geschichte meines Volos

In zwei Jahren Volontariat entstehen viele spannende, bewegende und wichtige Artikel. Doch manche Texte bleiben einem dauerhaft im Gedächtnis. Deshalb stellen einige (ehemalige) Volontär*innen diese Geschichten hier vor – Angelina beginnt.

Ein kleiner, manchmal blasser, zweiter Streifen hat die Macht, das Leben einer Frau für immer zu verändern. Zumindest, wenn er auf einem Schwangerschaftstest erscheint. Während er für viele Frauen absolutes Glück und die Freude auf ein Baby bedeutet, kann er sich für andere Schwangere wie eine große Katastrophe anfühlen. Er kann der Anfang einer Erfahrung sein, die Frauen oft ihr ganzes Leben lang begleitet. Zumindest glaubt keine der Frauen, mit denen ich für meinen bisher wichtigsten Text gesprochen habe, dass sie irgendwann aufhören werden, an ihren Schwangerschaftsabbruch zu denken. Genau deshalb ist mir dieser Text auch so wichtig. Genau deshalb habe ich weiterrecherchiert, obwohl ich oft das Gefühl hatte, dem Thema vielleicht noch nicht gewachsen zu sein.

In meiner bisher aufwändigsten Recherche habe ich mich damit auseinandergesetzt, ob es überall in Sachsen möglich ist, eine ungewollte Schwangerschaft einfach und sicher abzubrechen. Auf die Idee, bin ich durch eine Geschichte im Tagesspiegel gekommen. In dem Text beschreibt eine Frau aus Bayern ihren Schwangerschaftsabbruch und all die Hürden, die ihr dabei begegnet sind. Aus anderen Artikeln zum Thema Schwangerschaftsabbruch wusste ich bereits, dass es in einigen Regionen (Süd-)Deutschlands schwierig sein kann, einen Arzt oder eine Ärztin dafür zu finden.

Ich habe mich deshalb gefragt, wie die Versorgungslage in Sachsen wohl ist. Also habe ich mir zunächst die Liste der Bundesärztekammer angesehen, in der sich alle Gynäkolog*innen eintragen können, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Allerdings ist diese Liste nicht vollständig und oft wird auch nicht erwähnt, welche Methoden die Arztpraxen und Kliniken anbieten. Also habe ich bei der Landesärztekammer aber auch bei einer Vielzahl von Beratungsstellen nachgefragt, wie sie die Versorgungslage in Sachsen beziehungsweise ihrer Region einschätzen. Schnell wurde klar: Ganz so schlecht wie in Bayern ist die Lage in Sachsen nicht. Verbesserungsbedarf besteht dennoch.

Ich wollte für meine Recherche unbedingt mit Frauen sprechen, die bereits eine Schwangerschaft in Sachsen abgebrochen haben. Deshalb startete ich einen Aufruf auf Social Media. Tatsächlich konnte ich mit mehreren Frauen persönlich über ihre Erfahrungen sprechen. Dass diese Frauen mir diese sehr intimen und emotionalen Geschichten anvertraut haben, war für mich eine große Ehre.

Vor dem Aufschreiben des fertigen Textes hatte ich großen Respekt. Ich sorgte mich, dem komplexen und kontroversen Thema nicht gerecht zu werden oder nicht neutral genug an die Sache herangegangen zu sein. Schließlich entschied ich mich dazu, meinen Text an der Geschichte einer der Frauen aufzuhängen, die mit mir gesprochen haben. Ihre Geschichte zeigte am besten, was für Schwangere in dieser Situation am wichtigsten ist. Das bedeutete gleichzeitig, dass ich andere Geschichten weglassen musste, was mir nicht leicht viel. Auch konnte ich aufgrund der schieren Menge an Informationen und Aspekten nicht alle meine Rechercheergebnisse in dem finalen Text unterbringen. So ist das aber oft. „Kill your Darlings!“, das wurde uns in der Henri-Nannen-Schule immer wieder eingebläut. Das bedeutet, dass man sich von Informationen und Geschichten trennen muss, auch wenn sie spannend sind, wenn ein Artikel dadurch an Verständlichkeit und Struktur gewinnt.

Im Nachhinein bin ich trotzdem froh, mir diese Recherche zugetraut zu haben. Denn von mehreren Beratungsstellen und Organisationen habe ich die Rückmeldung bekommen, dass er die Versorgungslage in Sachsen gut zusammenfasst und sie ihn als Referenz zu diesem Thema verwenden werden. Außerdem hat er mir gezeigt, dass man auch als eher unerfahrene Journalistin über ein komplexes und kontroverses Thema schreiben kann, wenn man sich wirklich reinhängt und genug Unterstützung von der Redaktion erhält, für die man gerade arbeitet.

Wer jetzt Lust bekommen hat, meinen Text zu lesen, der kann das hier tun:

Das Rathaus in Freital.
Erfahrungsbericht

Drei Monate Paartherapie

Angelina hat einen Sommer lang für die Lokalredaktionen in Freital und Pirna gearbeitet. Dabei hat sie gemerkt, dass ihre Liebesbeziehung zum Lokaljournalismus auch Krisen übersteht.

Ich verliebe mich leicht und oft. Doch nur selten wird aus meinen Schwärmereien eine ernsthafte Beziehung. Wenn ich mich aber auf eine Partnerschaft einlasse, dann hält diese für viele Jahre.

Und doch hat bisher keine meiner Beziehungen so lange gehalten, wie meine Liebe zum Lokaljournalismus – nämlich ganze sechs Jahre. Das ist kein Wunder, schließlich habe ich viel in die Beziehung investiert. Im Studium habe ich mehr gearbeitet als studiert. Außerdem bin ich für den Journalismus in viele deutsche Städte und sogar ins Ausland nach Tschechien gezogen. Doch diesen Sommer hat die kleine Stadt Freital meine Liebe auf ihre bisher härteste Probe gestellt:

Der erste Artikel, mit dem mich mein neuer Chef in Freital beauftragt hat, war ein echter Lokaljournalismus-Klassiker: die Eröffnung der Freibad-Saison. Darüber hatte ich auch in der Vergangenheit schon geschrieben. Dementsprechend selbstbewusst habe ich mich also auf den Weg ins Freibad gemacht. Dort angekommen merkte ich jedoch schnell, dass ich mich wohl überschätzt hatte. Denn obwohl ich mich angekündigt hatte und wirklich freundlich war, hatten die Bademeister vor Ort so gar keine Lust, mit mir über ihre Arbeit zu sprechen.

Sie wollten nicht in der Zeitung erwähnt werden. Dabei ging es ja nur um die Reinigung von Becken und Liegewiesen und nicht um ihre Einschätzung des Nahostkonflikts.  Zu groß war das Misstrauen gegenüber den Medien und damit auch mir. Außerdem kannten sie mich nicht. Ich war neu in Freital und das sah man mir wohl an. Denn auch der Fotograf, der wenig später hinzukam, fragte: „Du bist nicht von hier, oder?“

Trotzdem hat er mir geholfen. Gemeinsam konnten wir den Bademeister-Azubi davon überzeugen, sich fotografieren zu lassen. Außerdem stimmte einer seiner Kollegen am Ende zu, ihn mit Vornamen zitieren zu dürfen. Ich hatte also alle Informationen, die ich für den Artikel brauchte und war trotzdem ziemlich gefrustet.

Szenen wie diese wiederholten sich. Ein Autohaus-Inhaber wollte nicht mit mir über seine neu installierte E-Ladesäule sprechen. Dabei kann so ein Zeitungsartikel ja durchaus für nützliche Aufmerksamkeit sorgen. Irgendwann begann ich wirklich an mir selbst zu zweifeln. Spreche ich die Leute nicht richtig an? Komme ich falsch rüber? Was kann ich ändern? All diese Fragen kreisten in meinem Kopf. Schließlich kam auch ein-, zweimal der Gedanke auf, ob ich hier überhaupt richtig bin.

Zweifel, die kann und sollte man immer haben. Doch eine langjährige Beziehung deshalb einfach aufzugeben, das kam für mich nicht infrage. Also bat ich meinen Chef um Tipps für die Ansprache von möglichen Protagonist*innen. Ich überlegte mir eigene Themen und schrieb fleißig große und kleine Texte. Ich testete die Freitaler Imbisse auf ihr vegetarisches Angebot, begleitete Kinder zu ihrem ersten Schwimmkurs nach dem Lockdown und traf eine Klimaaktivistin zum Interview.

Und dann kam Marcus Loesdau, ein junger Rettungssanitäter, der nach Feierabend jede freie Minute bei der Freiwilligen Feuerwehr in Freital arbeitet. Eine wirklich interessante Persönlichkeit, die ihr ganzes Leben der Rettung von Menschen widmet. Ohne meinen Job hätte ich Marcus Loesdau nie kennengelernt und damit hätten ich und viele Leser*innen eine wirklich spannende Geschichte verpasst. Spätestens da wurde mir wieder bewusst, warum ich den Lokaljournalismus so liebe: Weil die besten Geschichten meist gleich nebenan passieren. Man muss sie nur suchen und erzählen.

Erfahrungsbericht

Darum wollen wir Journalist*innen werden

Sieben junge Frauen und Männer werden zurzeit
bei der SZ zu Redakteur*innen ausgebildet. Ihr zweijähriges Volontariat führt sie durch alle Ressorts der Zeitung. Hier erklären sie, was sie sich von ihrem Beruf versprechen.

Timotheus Eimert

Vor 30.000 Leuten

Einmal vor 30.000 Menschen Fußball spielen – das ist der Traum eines jeden Fußballjungen. So auch meiner. Doch irgendwann musste ich feststellen, dass meine Qualitäten nicht für
ein Spiel im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion ausreichen. Dass ich heute dennoch manchmal vor 30.000 Menschen arbeiten darf (wenn nicht gerade Corona ist), habe ich einem Zeitungspraktikum zu verdanken. Ein Montagabendspiel in der 2. Bundesliga zwischen Dynamo Dresden und Fortuna Düsseldorf vor neun Jahren hat den Grundstein für eine Karriere im Journalismus gelegt. Heute berichte ich nicht nur über Dynamo-Spiele, sondern schreibe über fehlende Sporthallen, neue Buslinien, Kitas und Gesundheitsämter, die bei Corona-Inzidenzen tricksen. Kein Tag ist wie der andere. Täglich lerne ich neue Menschen kennen. Welcher Beruf bietet solche Vielfalt? Auf Sächsische.de kann ich zwar schneller und aktueller berichten als in der Zeitung, dennoch möchte ich Lesern vor allem Orientierung bieten. Verlässliche Informationen und gut recherchierte Texte. Gerade dafür brauche ich eine gute Ausbildung.

Erik-Holm Langhof

Alles hinterfragen

Ich war 15, als ich bei der Sächsischen Zeitung als Praktikant angefangen habe. In der Lokalredaktion Zittau habe ich gelernt, wie wichtig es ist, über regionale Themen zu schreiben und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Das hat sich auch die folgenden Jahre so gehalten, weshalb ich 2019 als Volontär in der Lokalredaktion Döbeln gestartet bin. Für mich hat der Journalist eine wichtige Aufgabe: schwierige, interessante Themen möglichst leicht verständlich, wahrheitsgetreu und objektiv für Leser, Hörer oder Zuschauer aufarbeiten. Vor allem in der heutigen medialen Zeit wird diese Aufgabe immer wichtiger. Nicht zuletzt deshalb setze ich mich dafür ein, dass Falschmeldungen verhindert werden und sich qualitativer Journalismus auch weiterhin durchsetzt. Kritisch sein, Dinge hinterfragen, Nachrichten gut aufarbeiten und Menschen zu Wort kommen lassen – das ist mein Ziel als Redakteur, das ich täglich verfolge und auch in Zukunft verfolgen möchte. Egal, ob in Print, online oder den sozialen Netzwerken.

Marvin Graewert

Nimm das, Zuckerberg!

Häufiger werde ich gefragt, warum ich ausgerechnet bei einer Zeitung arbeite: Das nervige Rascheln, das unhandliche Format und für Menschen geschrieben, für die
meine Großeltern im Bus aufstehen würden. Warum die SZ, wenn ich auch für Joko Winterscheidts JWD-Magazin oder den Spiegel-Online-Ableger bento arbeiten könnte. Aus heutiger Sicht ist die Antwort einfach: Beide wurden eingestellt.
Tatsächlich lässt sich in einer Zeitungsredaktion beides vereinen: Ruhe für gut recherchierte Texte und Spielwiese für neue Erzählformate. Das spannende Leben der Menschen um uns herum kennenzulernen und aufzuschreiben, macht unglaublich viel Spaß. Dass sich damit auch junge Leser begeistern lassen, zeigen regelmäßige Experimente in meiner WG-Küche: Auch
wenn es niemand zugeben würde, greifen morgens alle nach der Zeitung. Jeder liest sich an irgendeiner Stelle fest, zumindest so lange, bis ich mit Block und Stift unter dem Küchentisch hervorspringe und kreische: „Nimm das, Marc Zuckerberg!

Angelina Sortino

Auch Spießer sind spannend

Dass ich Journalistin werden möchte, habe ich während meines ersten Praktikums bei einer süddeutschen Lokalzeitung gemerkt. In meinem ersten Text, der in dieser
Zeitung abgedruckt wurde, ging es um eine knapp zwei Meter hohe Pflanze im Garten eines Rentners – zugegebenermaßen kein Thema, das die Welt bewegt. Dennoch
merkte ich schnell, dass selbst die etwas spießige Kleinstadt, für die meine Redaktion verantwortlich war, voller spannender Menschen und Geschichten steckte, die ich unbedingt erzählen wollte. Das ist auch der Grund dafür, dass ich nach mehreren Praktika bei überregionalen Medien immer wieder gern zum Lokaljournalismus zurückgekehrt bin. Denn obwohl es natürlich auch spannend und wichtig ist, sich mit großen gesellschaftlichen Problemen und Zusammenhängen auseinanderzusetzen, beeinflussen die lokalen Ereignisse den Alltag von uns und unseren Lesern einfach am meisten. Ich werde Journalistin, weil ich die Geschichten von den Menschen erzählen will, denen sonst nicht genug zugehört wird. Ich wünsche mir, dass meine Texte die Leser berühren, wütend machen und zum Nachdenken anregen. Allerdings muss ich auch zugeben, dass mir mein Job einfach unglaublich viel Spaß macht, und das allein ist eigentlich schon Grund genug, um Journalistin zu werden.

Tim Ruben Weimer

Das Buch muss warten

Schon als Kind hatte ich den Wunsch, ein Buch zu schreiben. Ich fing an, mir Geschichten und Figuren auszudenken. Aber schon nach den ersten Seiten gingen mir die Ideen aus. Meine Geschichten waren viel zu „normal“, als dass sie jemand lesen würde.
Der Wunsch nach einem eigenen Buch blieb, bis heute. Doch inzwischen sind aus den Geschichten echte Begegnungen und aus den Figuren reale Personen geworden. Was ich mir vergeblich auszumalen versuchte, erlebe ich heute im echten Leben. Mit einem Senner stand ich morgens vor Sonnenaufgang auf, um Ziegen zu melken. Ich verbrachte ganze Nachmittage im stinkenden Dachzimmer eines „Reichsbürgers“. Das echte Leben ist häufig viel spannender als die Fantasie. Gleichzeitig weiß ich: Meine Geschichten konstruieren Realität. Meinen Lesern bin ich schuldig, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen.
Jeden Tag in einem neuen Thema vom Amateur zum Experten zu werden, darin liegt für mich der Reiz des Journalismus. Und vielleicht wird es ja eines Tages doch noch was mit meinem Buch mit „wahren“ Gesichten.

Luisa Zenker

Keine halbe Wahrheit

„Schreiben Sie bitte nicht so schlecht über uns.“ Das sagte mir kürzlich ein Sprecher des Essenslieferdienstes Lieferando, der für seine Arbeitsbedingungen in der Kritik stand. „Ich schreibe nicht schlecht“, versicherte ich, „sondern ehrlich.“
Viele Affären wären nicht aufgedeckt worden, hätten Journalisten und Journalistinnen nicht gründlich recherchiert. Solche, die selbst Themen setzen, andere Stimmen zu Wort kommen lassen und bei alledem den lokalen Alltag nicht vergessen.
Genau das möchte ich lernen, hier bei der Sächsischen Zeitung. Ob Stadträtin, Landtagsabgeordneter oder Geschäftsführerin – sie alle treffen wichtige Entscheidungen, deshalb sollte man ihnen besonders auf die Finger schauen. Denn was würde passieren, wenn kein Journalist mehr den Dresdner oder Freitaler Stadtrat kommentiert? Und um noch mal zum Anfang zurückzukommen: Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der nur halbe Wahrheiten über die Arbeitsbedingungen in großen Unternehmen veröffentlicht werden.

Martin Skurt

Zu viel Glutamat

Immer, wenn ich Chinesisch esse, fühle ich mich schlapp. Ich dachte lange, das liegt am Glutamat. Doch nach einer kurzen Recherche bin ich auf das Chinese Restaurant Syndrom gestoßen. US-amerikanische Ärzte beschrieben Ende der 1960er-Jahre genau meine Symptome. Mittlerweile weiß man jedoch, dass der Begriff eher den Rassismus von damals ausdrückt. Ob Glutamat Beschwerden auslöst, ist bis heute umstritten. Vielleicht esse ich nur immer zu viel davon. Was ich mit diesem kleinen Beispiel sagen will? Ich recherchiere unheimlich gern. Vertreibe mir ohne Probleme stundenlang in Online-Medien und Foren die Zeit. Als Journalist will ich digitale Kanäle verstärkt nutzen, relevante Informationen filtern und dabei interessante Geschichten aufstöbern sowie erzählen . Deshalb bin ich glücklich, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Das Spannendste ist dabei häufig der Weg zur Geschichte. Recherche eben. Die Recherche sei die Kür des Journalismus, heißt es manchmal. Ich sehe sie vielmehr als Pflicht. Gerade, weil Medien mit Glaubwürdigkeitsproblemen kämpfen.

Erfahrungsbericht

Was macht eigentlich ein Journalist im Lockdown?

Tim Ruben Weimer hat bisher beinahe seine gesamte Zeit bei der SZ im Homeoffice gearbeitet. Mit diesem Text zieht er ein Zwischenfazit.

Ein Reporter muss rausgehen zu den Menschen, er muss beobachten, live dabei sein, wenn Dinge passieren, er soll die Welt des normalen Durchschnittsbürgers genauso kennen wie den Alltag eines Politikers, muss fragen und dazwischen haken. Was aber, wenn sich das Leben der Menschen plötzlich nur noch in den eigenen vier Wänden abspielt, und – noch viel schlimmer – ich selber den Fuß auch nicht mehr vor die Tür setzen darf? Was macht ein Journalist im Lockdown?

Mein ehemaliger Redaktionschef erklärte mir in fast jedem unserer Gespräche, ich käme in einer besonderen Zeit. Im Oktober 2020 habe ich mein Volontariat bei der Sächsischen Zeitung begonnen, im November kam der bis heute andauernde Lockdown der zweiten Welle. Corona hat auch unseren Alltag verändert. Im „Haus der Presse“ herrscht kaum Betrieb, die Kantine ist menschenleer, im Erdgeschoss wurde ein Testzentrum eingerichtet. Die meisten Journalisten arbeiten im Homeoffice, meine Kollegen feierten letztens ihr einjähriges „Absenzjubiläum“ – mit einem kurzen Eintrag in unserem internen Chatforum und einem Bier-Emoji. Auch ich arbeite seit Anfang November im Homeoffice.

Komme ich in einer besonderen Zeit? Für meine Kollegen mag das vielleicht so wirken, für mich aber war es fast von Anfang an mein neuer, normaler Arbeitsalltag. Das tägliche Meeting über Teams ersetzt die Redaktionssitzung, die ich in Präsenzform noch nie miterlebt habe. Absprachen werden meistens über WhatsApp getätigt, es gab Tage, an denen ich den ganzen Tag keine einzige Stimme hörte – und das als Journalist!

Von den Kollegen meiner derzeitigen Volontariatsstation, an der ich seit Februar 2021 arbeite, habe ich nicht einen einzigen je „im echten Leben“ getroffen, eigentlich weiß ich von niemandem so recht, wie er oder sie tickt. Wenn ich mit jemandem über den Chat einen Scherz mache, besteht immer die Gefahr, dass mein Gegenüber meine Art von Scherzen überhaupt nicht versteht. Manch einen Kollegen hatte ich eine Zeit lang noch nicht einmal virtuell kennengelernt. Eine Vorstellung von ihm baute sich bei mir trotzdem auf – über die Farbe des Chat-Avatars, über seine Ausdrucksweise in den getippten Diskussionen, über die Smileys, mit denen er andere Beiträge kommentiert. Als er dann plötzlich erstmals in einer Videokonferenz auftauchte, brach meine bisherige Vorstellung von ihm zusammen. Ein bisschen wie auf Facebook, wo man auch (viel zu) schnell meint, andere Nutzer nur aufgrund deren Kommentare gut zu kennen. Manchmal stellt sich für mich die Frage: Werde ich bei meinen Kollegen eigentlich überhaupt irgendeinen Eindruck hinterlassen? Nehmen sie mehr von mir wahr als nur meinen Namen? Werde ich mich nach Corona noch einmal ganz neu vorstellen und etablieren müssen?

Meistens überwiegen die Nachteile in der Diskussion um die Arbeit im Homeoffice. Und auch bei mir muss ich sagen: Der strukturierte Arbeitstag, den ich in meinem einzigen Monat in eingeschränkter Präsenzarbeit noch kennenlernen durfte, ging mir schnell verloren. Auch in meiner Mittagspause bin ich nie ganz offline und luge mit einem Auge noch auf aktuelle Nachrichten, die gerade reinkommen – ich könnte ja gebraucht werden. Insgeheim bewundere ich aber manchen Kollegen, dessen Statusanzeige sich immer pünktlich zur Pause konsequent offline schaltet. Andererseits dauert es aber manchmal auch gefühlte Ewigkeiten, bis ein vorgeblich anwesender Kollege mir endlich in einer dringenden Sache antwortet. Im Büro hätte ich einfach kurz schauen können: Ach, er ist kurz auf dem Klo, dann gedulde ich mich noch kurz mit meiner Frage. So stehe ich dagegen häufig im digitalen Nirwana und suche verzweifelt nach einem Ausweg.

Was macht ein Journalist nun im Lockdown? Glücklicherweise lernen wir Volontäre nicht nur das reine Recherchieren und Schreiben von Artikeln. Es gibt auch Aufgaben, die sich problemlos im Homeoffice erledigen lassen, wie zum Beispiel das Verwalten von Social-Media-Kanälen, das Erstellen von Newslettern oder das Beantworten von Leserbriefen. Und selbst das Kerngeschäft, die Recherche, lässt sich erstaunlich gut vom heimischen Telefon aus betreiben. Was aber häufig wegfällt, sind die weichen, sozialen Komponenten der Geschichten. Wenn ein Protagonist zum Beispiel über ein besonderes Ereignis in seinem Leben spricht, dann wählt er dafür am Telefon andere Worte als bei einem Treffen bei Kaffee und Kuchen. Wenn er ungern über etwas sprechen möchte, dann lässt er sich am Telefon nur schwer umstimmen. Wer nicht gerne mit Journalisten spricht, kann mich am Telefon einfach wegdrücken, bevor ich ihm die Sache etwas verständlicher machen kann. Und die kleinen, subtilen Gesichtsregungen, die bei spannenden Gesprächen häufig die besondere Note geben (à la „er lächelte verschmitzt“), fallen komplett weg. Meine Artikel sind dadurch nicht etwa versachlicht, aber entmenschlicht worden. Protagonisten sind zu bloßen Informationsquellen geworden.

Ich gebe zu, die Gespräche bei Kaffee und Kuchen hat es natürlich trotz Lockdown gelegentlich gegeben. Vorneweg aber immer die Diskussion: Ist das Gespräch wirklich nötig, wo ist es luftig genug, dass wir uns treffen können, aber trotzdem nicht eisig kalt, und wie machen wir das mit der Maske? Und nein, nicht immer habe ich da die vorsichtigste Variante gewählt. Meine journalistische Neugier hat regelmäßig über meine Vernunft gesiegt, um dann im Nachhinein wieder kleinlaut beizugeben: Hoffentlich habe ich niemanden angesteckt.

So neu und schwierig der Lockdown für uns alle ist, eins muss ich doch feststellen: Manche Artikel hätte ich im „normalen“ Arbeitsalltag vermutlich nicht fertigstellen können. Ich habe das Privileg, eine eigene Wohnung zu haben, in der es still ist, wenn ich mich konzentrieren möchte. Wenn es an der Zeit ist, alle Fakten zusammenzutragen und einen Text zu formulieren, dann schaue ich gerne mal aus dem Fenster und beobachte für einen Moment die Leute unten auf der Straße. Die Ruhe gibt mir Inspiration, Zusammenhänge zu erkennen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und vor allem Fehler zu vermeiden. Es gab Texte – und ich hoffe, dass meine Kollegen das niemals lesen – die ich im Bett geschrieben habe – einfach, weil mir gerade danach war. Ich bezweifle, dass die Qualität darunter gelitten hat. Und wenn ein Artikel abends nicht gleich fertig sein musste, nutzte ich gelegentlich auch die Ruhe des späten Abends, um auf der Couch nochmal genauer über Formulierungen nachzudenken – ohne dafür ins Büro fahren zu müssen.

Ich sehe es als Vorteil, meinen Start in das Volontariat bei der Sächsischen Zeitung „in einer besonderen Zeit“ zu machen. Im Homeoffice bin ich der Chef, der bestimmt, wie und zu welchen Zeiten gearbeitet wird – dass die Ergebnisse stimmen müssen, versteht sich von selbst. Durch die Beschränkung auf das Telefon habe ich gelernt, mehr von mir als Mensch preiszugeben, um die Hürde der Distanziertheit zu nehmen. Umso mehr freue ich mich nun darauf, bald die „echten“ Gesichter meiner Kollegen kennenlernen zu dürfen und zu erfahren, dass alles, was ich hier geschrieben habe, vollkommener Unsinn ist und der Arbeitsalltag im Büro vor Ort doch viel angenehmer und produktiver ist, als ich es hier insgeheim angenommen habe. Dafür bin ich Journalist: Ich lerne täglich dazu.

Text: Tim Ruben Weimer

Erfahrungsbericht

Kommt Qualität wirklich von Qual?

So ist es zumindest auf einem Schild in der bekannten Henri-Nannen-Schule zu lesen? Angelina hat im Herbst zwei Monate die Journalistenschule besucht und findet, dass das so definitiv nicht stimmt.

Fast alle, die sich für Journalismus interessieren, kennen sie. Um die Henri-Nannen-Schule in Hamburg ranken sich Mythen und Gerüchte. Diese drehen sich vor allem darum, wie hart die Kurse, wie streng die Lehrenden und wie elitär die Absolvent*innen sein sollen. 

Wie alle Volontär*innen, wurde auch ich von der SZ nach Hamburg in genau diese Einrichtung geschickt. Ich hatte also die „Ehre“, eine der bekanntesten deutschen Journalistenschulen von innen zu sehen. Und was soll ich sagen, ich hatte eine gute Zeit. All die Sorgen, die ich zuvor gehegt hatte, sollten sich als unbegründet herausstellen.

Die Lehrenden waren zwar manchmal streng und die Tage lang, aber ich habe genau deshalb eine Menge gelernt. Allerdings nicht nur, wie man schnell gute Nachrichten schreibt, Menschen authentisch porträtiert oder klug argumentierte Kommentare schreibt, sondern noch vieles mehr. Zum Beispiel, dass es sich manchmal lohnt, für seine Meinung einzustehen. Auch vor viel erfahreneren Journalist*innen. Weil es oft eben doch wichtig ist, aus seiner eigenen Perspektive auf Themen zu blicken. Es gibt zudem oft kein richtig oder falsch. 

Außerdem sind die Kurse an der Henri-Nannen-Schule mittlerweile super multimedial ausgerichtet. Meine Dozent*innen haben mir also nicht nur das Schreiben beigebracht, sondern auch, wie mir das Internet fast alles verrät oder wie ich am Smartphone kurze Beiträge filmen und schneiden kann. Besonders hat mich dabei gefreut, dass neben vielen alten weißen und weisen Männern auch immer mehr junge Journalistinnen an der Schule unterrichten. Vorbilder sind einfach wichtig, selbst, wenn man schon längst erwachsen ist. 

Meine Übungsreportage habe ich übrigens nach allen Regeln der Kunst vermasselt. Mein Protagonist war ein homosexueller Geflüchteter, der sich in Ostdeutschland nicht so wirklich wohl fühlte. Meine Dozentin meinte bei der Besprechung zu mir, dass ich mein Thema so unglücklich gewählt hätte, dass es unmöglich sei, einen guten Text zu liefern. Vielleicht hätte ich eine meiner Reportage-Ideen also besser nicht an meinen Mitbewohner abgeben sollen. Er hatte sich für seinen Text zum ersten Mal die Brust waxen lassen und einen Erfahrungsbericht geschrieben, der wirklich unterhaltsam war. Andererseits wären mir so viel Schadenfreude und eine wichtige Lektion verwehrt geblieben: Eine Reportage braucht Bewegung. Die Handlung muss fließen, wie ein Fluss. Die Einsamkeit meines Protagonisten war eher ein trauriger See. Außerdem habe ich leider nicht wirklich viele Brusthaare. 

Im Übrigen hat nicht nur mein Mitbewohner von meinen offenbar sadistischen Ideen profitiert, sondern auch ich von all den anderen Schüler*innen. Denn wir alle hatten unterschiedliche Interessen und Lebensläufe und konnten eine Menge voneinander lernen. Im Februar werde ich das nächste Mal in Hamburg sein. Und auch wenn ich Dresden und die Arbeit bei der SZ liebe, freue ich mich schon jetzt darauf.