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X-Wege in den Journalismus: der Quereinsteiger

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Er hat auf dem Bau gearbeitet, Politik studiert und mit 31 Jahren sein erstes Praktikum bei der Zeitung gemacht. Nummer Eins der Serie: Tobias Wolf der Quereinsteiger.

Ich könnte mit dem Satz anfangen: Eigentlich wollte ich schon immer Journalist werden. Aber ehrlich: Ich hatte keine Ahnung. Zwar liebte ich immer das Schreiben, bastelte als 10-Jähriger mal ein Kinderbuch, das nur meine Mutter sehen durfte und las als Lehrling einer Handwerksfirma später den SPIEGEL auf der Baustelle, als meine Kollegen die Blätter mit den großen Buchstaben in der Hand hielten. Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, irgendwann selbst für andere zu schreiben. Ich hatte nicht mal gepeilt, dass ich der einzige unter den Kollegen war, der so etwas las. Einem Bauleiter fiel das auf. Er sprach mich darauf an. Ob ich wirklich auf dem Bau arbeiten  wolle, ein Leben lang? Ich wusste keine Antwort. Mein Weg in den Journalismus war also ein wenig länger, auch wenn sich die Baustellen-Szene als Ich-weiß-jetzt-was-ich-will-Moment ziemlich cool anhören würde.

Jahre nach einer planlosen Jugend (Realschule, gerade so geschafft) holte ich das Abi nach, während ich tagsüber als Hausmeister Mülltonnen leerte und den Hof fegte. Dann studierte ich Politikwissenschaften. Weil es Spaß machte. An BWL oder so etwas wäre ich sicher grandios gescheitert. Selbst als Abendstudent konnte ich mir nicht vorstellen, einmal Journalist zu werden. Auch wenn ich manchmal davon träumte. Für den Reporterberuf das falsche Fach gewählt zu haben und dazu völlig talentfrei zu sein, war ein Glaubenssatz.

Bis zu dem Praktikum im Sommer 2009 bei der SZ in Pirna. Ohne Ahnung von einer Lokalredaktion. Dazu Angst, in einem unbekannten Umfeld Themen zu finden. Aber nach einem Gerichtsreport in der ersten Woche ließ ich mir von einer Kaufhausdetektivin erzählen, wie das so läuft in ihrem Job. Sie war als Zeugin beim Prozess gegen einen Dieb. Eine spannende Geschichte, die auch in Dresden erschien. Da setzte dann ein, was der Ich-wusste-schon-immer-dass-ich-Journalist-werde-Typ wohl sein erstes Mal nennt: Ein ziemlich geiles Gefühl, gelesen zu werden. Ich war ja mit 31 schon deutlich älter als die anderen Praktikanten und musste ein bisschen erwachsener tun, im Inneren war ich unglaublich stolz.

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Tobias Wolf                     Fotos: B. Veltzke

Ich durfte wieder ins Gericht, dazu Nachrichten und Porträts schreiben. Und hatte immer mehr Spaß daran. Zu dieser Zeit war Endspurt im Landtagswahlkampf 2009. Die rechtsextreme NPD hatte die Sächsische Schweiz mit ihren widerlichen Wahlplakaten zugespamt. Ich stieß auf eine Bürgerinitiative, die den Braunen bunte Plakate entgegensetzen wollte, schrieb einen Aufmacher und einen Kommentar, der aus heutiger Sicht noch härter hätte ausfallen müssen. Es war meine erste Seite Eins im Lokalteil. Hatte ich kurz vorher Feuer gefangen, brannte die Flamme jetzt lichterloh. Nach Leserbriefen und Anrufen, die wegen der NPD-Sache kamen, war klar: Ich kann etwas bewegen und den Nerv anderer Menschen treffen. Als Praktikant. Irgendwie fühlte sich das richtig an. Aber einen Job in einer Redaktion bekommen? Naja, immerhin hatte ich in vier Wochen Pirna knapp 30 Artikel geschrieben.

Monate später kam ich wieder zur SZ. Diesmal nach Dresden. Ich landete in der Stadtredaktion, wo mir mein Chef und Betreuer Peter am ersten Tag einen Packen Themen hinlegte und sagte: „Du wirst das schon schaffen.“ Jeder Praktikant bekommt das zu hören. Als über Weihnachten ein Redakteur ausfiel, sollte ich dessen Seite im Lokalteil übernehmen. Ich war nicht sicher, ob das gut gehen würde. Peter zerpflückte meine Texte bei seinen sprachlichen Korrekturen. Ich dachte, ich versaue es. Doch alles klappte.

Nach dem Praktikum schrieb ich meine Diplomarbeit und für Zeilenhonorar einige Texte pro Monat, bis Peter fragte, ob ich ihn im Urlaub vertreten wolle – drei Wochen lang. Das war im Sommer 2010. Sein Gebiet Dresden-Ost kannte ich ja. Zwar unsicher, schaffte ich das irgendwie und merkte: Ich will nichts anderes mehr machen. Im Jahr zuvor unvorstellbar. Ich bräuchte mir keine Sorgen nach dem Studium zu machen, versprach Peter. Er hielt Wort. Im Herbst bekam ich eine Stelle als freier Mitarbeiter. Für den Osten der Stadt bin ich nun Experte.

Mit der Zeit bekommt man Kontakte, um immer am Puls der Region zu sein. Oder um schnell an wichtige Informationen zu kommen. Auch wenn ich inzwischen vieles kenne, ist jeder Tag  spannend. Weil immer wieder etwas passiert, immer wieder interessante Menschen auftauchen. Dazu  der Nervenkitzel, wenn ich einer heißen Geschichte auf der Spur bin oder zufällig dazukomme, wenn die Polizei einen Schleuserbus umstellt.

Offene Augen, Neugier und manchmal ein kleines bisschen Naivität sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein Reporter braucht. Es darf keine Scheu geben, auch nicht vor Menschen die unangenehm sind. Wie die Nazis, die jedes Jahr am 13. Februar hirnlose Parolen herausschreien, während Tausende Gegendemonstranten sie übertönen. Dann ist  Geduld gefragt, die Stunden in der Kälte zu überstehen. Bei solchen Einsätzen ist es oft weit nach Mitternacht, wenn die Tastatur  die Finger wärmt, während die letzten Worte in den Artikel fließen – manchmal nur Minuten bevor die Zeitung für den nächsten Tag in Druck geht. Die Online-Nachrichten sind da längst raus.

Auch wenn der Beruf viel Zeit und manchmal Nerven beansprucht – ich kann mir keinen anderen mehr vorstellen. Ich bin angekommen. Mein Chef ist immer noch derselbe wie im Praktikum. Heute gibt er mir oft seine Artikel zur Korrektur. Und manchmal muss ich an den Bauleiter von damals denken. Irgendwie hat er recht gehabt. Hätte ich noch ein Leben vor mir, würde ich fast alles nochmal genauso machen, nur etwas schneller. Denn Journalist zu sein, fühlt sich wie eine Berufung an, nicht wie ein Beruf.