Erfahrungsbericht

Mit dem direkten Draht ins Zentrum der Macht

 

Foto: Lutz Weidler
Foto: Lutz Weidler

Britta, da gibt es nicht mal ein Programmkino! Auf die Nachricht, dass ich fortan in Riesa als Lokalredakteurin arbeiten werde, reagierte mein geschätzter Kollege aus dem Kulturressort, als sei ich in die Tundra, die Walachei oder irgendeinen anderen Landstrich strafversetzt worden, den man mit Verlassenheit und kultureller Ödnis in Verbindung bringt. Dann schenkte er mir noch ein Hörbuch von zwölf Stunden Dauer zum Abschied.

Und jetzt bin ich hier. Bereits seit etwa 100 Tagen – Zeit für eine Bilanz. Die sollte es schon viel eher geben. Aber: Viel zu tun in so einer Lokalredaktion.

Dies ist die erste Stelle meines Lebens, abgesehen vom Volontariat. Sozialversicherungspflichtig und mit Betriebsrenten-Tralla-la und all dem Kram. Da kannst´de echt froh sein, sagte kürzlich eine ehemalige Kommilitonin aus dem Journalistik-Studium am Telefon zu mir. Sie selbst schlägt sich in Dortmund als Freie auf einem völlig übersättigten Markt durch.

Darüber, dass ich das nicht tun muss, bin ich auch wirklich ausgesprochen dankbar! Mit mir tauschen, würden viele Freie dennoch nicht. Riesa ist schließlich nicht München, Hamburg, Berlin oder irgendeine andere Medienmetropole. Ich habe aber schnell die Vorteile entdeckt: Wenn ich mit dem Regierungsoberhaupt sprechen muss, wühle ich in meinen Unterlagen – mein Kontakt-Management lässt noch Raum für Verbesserung – und wähle schließlich die entscheidende Handynummer. Die beiden Oppositionsführerinnen finde ich fast immer in einem kleinen Ladenlokal in der Nähe. Sie sitzen hinter konspirativ verschlossenen Lamellen-Vorhängen und versorgen mich bereitwillig mit zitierfähigen Informationen. Wenn ich den Zeitpunkt nicht verpasse, treffe ich den Regierungssprecher beim Mittagessen im Einkaufszentrum, wo es jeden Mittag das gleiche gibt – wahlweise mit kalter Sauce Hollandaise aus dem TetraPak. Dort kann ich den Sprecher noch einmal nachdrücklich an meine offenen Anfragen erinnern. Das beschleunigt die Antwortzeit – fast immer. Fußläufig ist das überschaubare Regierungsviertel von der Redaktion aus in drei Minuten erreichbar. Unsere Hauptstadt-Korrespondenten brauchen von ihrem Büro in der Bundespressekonferenz aus auf jeden Fall länger, um über die Spree ins Reichstagsgebäude zu kommen.

Politikum Blumenkübel

Ich habe als Leiterin meines Eine-Frau-Politikressorts also den direkten Draht ins Zentrum der Macht – das Riesaer Rathaus, und damit genug Stoff, um (in der Regel) nicht von Kinderfesten und Rammlerzüchtern berichten zu müssen. Dieses Klischee hält sich ja hartnäckig – mir kommt es so vor, dass es vor allem in den Köpfen von Großstädtern weiterlebt, die selbst keine Lokalzeitung lesen und sich dann plötzlich wundern. Dann nämlich, wenn die Räte das kommunale Eigentum bereits verhökert haben oder durch den teuren Tunnel unter der Stadt schon die erste S-Bahn rollt. („Da hätte man doch protestieren müssen.“)

Gerade ist Wahlkampf. Am 25. Mai wählt Riesa einen neuen Stadtrat. Das macht sich bisher weniger in einer übermäßigen Plakate-Flut bemerkbar, als vielmehr in der Länge der Ausschusssitzungen. Im Bauausschuss entbrannte vor wenigen Tagen erst eine Diskussion über die Blumenkübel in der Innenstadt. Darin liegt noch immer das Tannengeäst vom letzten Winter. Die CDU-Fraktion will nun in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion, das Gestrüpp entfernen. Klar wollen auch die CDU-Leute wieder in den Rat – am besten mit einer so bequemen Mehrheit ausgestattet wie bisher.

Trotz konservativer Vorherrschaft bleibt es spannend im Riesaer Wahlkampf. Besonders gespannt bin ich, ob der Kandidat der Partei den Wiedereinzug schafft, die seit der letzten Bundestagswahl nur noch in persona von Wirtschaftsminister Sven Morlok zu existieren scheint. Dem Stadtrats-Anwärter wird nachgesagt, dass er es beim letzten Mal nur geschafft hat, weil er mit dem gleichnamigen, stadtbekannten Friseur verwechselt wurde. „Hier is´ was los“, sagt mein Kollege manchmal. Meist bezieht er sich dabei auf Lokalpossen wie diese – oft aber auch auf Situationen, in denen nicht so ganz ersichtlich ist, wie wir mit so wenig Leuten, die Seiten vollschreiben sollen.

Und damit zurück in die Stadt der Programmkinos.

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