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Ja, sie lebt noch

Zwei überregionale Blätter stehen vor dem Aus. Aber der Tod der Zeitung, den manche heraufbeschwören, ist das noch lange nicht.

Vielleicht liegt es auch bloß an dieser trüben Stimmung im Herbst. Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag, und dann noch die ARD-Themenwoche zum Thema Sterben – da kann man schon mal in Todessehnsucht verfallen. Sind wir jetzt also soweit: Ist diese Woche der Anfang vom Ende der Zeitungen? Gleich zwei Blätter stehen vor dem Aus: Die „Frankfurter Rundschau“, die in der alten Bundesrepublik das Leib-undMagen-Blatt linksliberaler Intellektueller war. Und die „Financial Times Deutschland“, gegründet im Jahr 2000, als deutscher Ableger der britischen Wirtschaftszeitung auf lachsfarbenem Papier. Hunderte Redakteure könnten ihren Arbeitsplatz verlieren.

In Ostdeutschland werden beide Zeitungen kaum gelesen. Sogar deutschlandweit haben sie zusammen weniger Auflage als etwa die Sächsische Zeitung. Auch kommt ihr Aus für Branchenkenner nicht überraschend. Die „Frankfurter Rundschau“ wurde seit Jahren mit verschiedenen Rettungsversuchen am Leben erhalten. Und die „Financial Times Deutschland“ hatte es als Neugründung von Anfang an schwer, sich auf dem Zeitungsmarkt zu behaupten.

Trotzdem tun manche so, als hätte jetzt endlich das seit vielen Jahren prophezeite Zeitungssterben begonnen. Vor allem im Internet überschlagen sich die Kommentare. Mit mehr oder weniger unverhohlener Schadenfreude spotten Blogger und Online-Autoren über die Zeitung als „Totholzmedium“. Aber auch bei Zeitungsredakteuren ist das lähmende Gefühl weit verbreitet, für ein todgeweihtes Medium zu arbeiten, das der Übermacht des Internets hilflos ausgeliefert ist. Es regt sich kaum Widerspruch, wenn jetzt davon die Rede ist, die Tageszeitung sei längst ein „fragliches journalistisches Konstrukt“. Sind also nicht nur einige Blätter am Ende, sondern überhaupt die Idee Tageszeitung?

Man muss das wohl mit Ja beantworten, wenn man unter dem Begriff „Zeitung“ nichts anderes als ein Papierprodukt versteht, für das Leser artig bezahlen, weil es jeden Morgen am Kiosk oder im Briefkasten liegt und die Neuigkeiten des vergangenen Tages erzählt. Das funktioniert im Grunde genommen schon heute nicht mehr. Aber geht es nicht auch anders? Muss es Papier sein? Muss es früh morgens sein? Muss es immer nur das sein, was gestern schon in der „Tagesschau“ war und im Internet sowieso? Zeitungen werden sich ändern müssen, aber untergehen werden sie nicht. Sie werden überleben, wenn sie sich wandeln. Dabei müssen sie nicht unbedingt schneller werden, aber anders. Und noch viel besser.

Noch sind Zeitungen die Leitmedien in dieser Gesellschaft. Das wird sich auch in naher Zukunft nicht ändern. Vieles, was auf Facebook, Twitter oder in Online-Foren diskutiert wird, wurde zuerst von Zeitungsjournalisten aufgedeckt – so zum Beispiel die Affären von Guttenberg und Wulff. Die Online-Diskussionen sind dabei oft eine Bereicherung. Es gibt im Internet viele kluge Stimmen, die sonst nicht zu Wort kämen. Aber sie bilden meist bloß die Begleitmusik zu Debatten, die im Wesentlichen von Zeitungen angestoßen und von Fernsehen und Rundfunk aufgegriffen werden. Die Presse erfüllt also nach wie vor sehr rege die Funktion, die ihr in einer Demokratie zukommt: Sie trägt zur Meinungs- und Willensbildung bei.

Auch in Zahlen betrachtet, ist die deutsche Zeitungslandschaft immer noch beeindruckend vielfältig und lebendig. Es gibt 339 verschiedene Tages- und Sonntagszeitungen. Zusammen kommen sie auf eine Gesamtauflage von über 21 Millionen Exemplaren. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger lesen sogar zwei Drittel der Erwachsenen täglich eine gedruckte Zeitung. Deutschland war und ist ein Land von Zeitungslesern, auch im Zeitalter von Smartphones und Tablet-Computern.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die Auflage der Zeitungen seit vielen Jahren langsam, aber stetig sinkt. Im Jahr 2002 lag die Gesamtauflage noch bei mehr als 27 Millionen – in den letzten zehn Jahren ist die Zahl um sechs Millionen geschrumpft. Tendenz weiter sinkend. Vor allem junge Menschen lesen immer weniger Zeitung. Nur Wochenzeitungen wie „Die Zeit“ oder die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ konnten einige Leser hinzugewinnen.

Was also muss sich ändern, damit Zeitungen nicht tatsächlich einen schleichenden Tod sterben? Sicher ist, dass es künftig immer weniger gedruckte Zeitungen geben wird. Doch die Inhalte müssen nicht unbedingt wie bisher auf Papier daherkommen. Sie können auch als Onlineauftritt, PDF, App, SMS oder was auch immer auf Computer, Handy oder Tablet landen. Millionen Menschen kaufen längst keine CDs mehr, sondern laden ihre Lieblingsmusik aus dem Internet runter. So könnte es bald auch mit Zeitungsartikeln sein. Na und? Zeitungsjournalisten wollen gelesen werden. Auf welchem Weg, das kann ihnen egal sein.

Aber was es da zu lesen gibt, das ist nicht egal, das wird über die Zukunft der Zeitung entscheiden. Der Tageszeitungsrhythmus ist in der Nachrichtenflut von heute auch ein Vorteil: Einmal am Tag kann sich der Leser in Ruhe über die Hintergründe informieren, ausgeruhte Analysen, Kommentare und Reportagen lesen. Die schnellen Happen können die Zeitungen getrost dem Internet überlassen. Ihre Stärke sind ihre Redaktionen, in denen Journalisten täglich miteinander diskutieren, ihre Texte gegenseitig kritisch begutachten, Informationen hinterfragen und auswerten, Fakten recherchieren.

Journalisten sind nicht klüger als ihre Leser. Aber sie werden dafür bezahlt, dass sie Informationen prüfen, sortieren und aufbereiten. Das unterscheidet eine Zeitung von kostenlosen Online-Nachrichten. Und deshalb kostet eine Zeitung Geld. Für eine Ausgabe der Sächsischen Zeitung etwa bezahlt man 1,20 Euro. Das ist preiswerter als eine Tasse Kaffee. Warum sollten Leser nicht auch in Zukunft bereit sein, einen solchen Betrag für eine digitale Version der SZ zu bezahlen? Sie wollen ja kein Papier kaufen, sondern Inhalte.

Das Problem, mit dem die meisten Verlage heute noch kämpfen, ist die Suche nach einem funktionierenden Bezahlmodell. Und auch die Anzeigen bringen im Internet bislang deutlich weniger Geld ein als in der gedruckten Zeitung. Das ist für viele Verlage schmerzhaft. Aber letztlich sind das betriebswirtschaftliche Schwierigkeiten, die nichts an der Grundbedingung für die Existenz von Zeitungen ändern: Qualitätsjournalismus wird künftig mehr gebraucht denn je – in einer Welt, die immer komplexer, rasanter und unübersichtlicher wird. Und was gebraucht wird, ist den Menschen auch Geld wert.

Dafür bekommen sie künftig noch mehr als heute geboten. Viele wollen sich nicht mehr nur Informationen auftischen lassen, sondern sich einmischen und mitreden. Oder auch mitschreiben. Bitte schön! Auch dafür können Zeitungen in Zukunft eine Plattform sein. Die Zeiten, in denen Redakteure ihre Leser in klugen Leitartikeln belehren durften, sind ohnehin längst vorbei. Journalisten sind Dienstleister und keine Oberlehrer. Diese Haltung gilt im Online-Zeitalter mehr denn je.

Gerade für Regionalzeitungen liegt hier eine Riesenchance: Sie sind näher an ihren Lesern dran als die großen überregionalen Blätter. Und sie können ihr Publikum künftig über das Internet noch stärker einbinden. Die Inhalte einer Regionalzeitung sind sowieso unersetzbar. Je lokaler ein Ereignis ist, desto schwieriger ist es, verlässliche Nachrichten kostenlos im Netz zu finden. Wer wissen will, was in seinem Wohnort passiert, ist auf eine Lokalzeitung angewiesen. Daran hat sich durch die digitale Welt nichts geändert.

Eine andere Frage ist, ob Leser künftig noch regelmäßig einen festen Preis für eine komplette Zeitung zahlen werden – oder nur noch für bestimmte Themen oder gar einzelne Artikel. In der Musikindustrie ist das längst so weit. Auf Streamingdiensten wie Spotify oder Simfy kann man gegen eine Monatsgebühr unendlich viele Titel hören. Bei iTunes und anderen Plattformen werden nicht mehr nur komplette Musikalben, sondern vor allem einzelne Songs verkauft. Nicht ausgeschlossen, dass es eines Tages mit Zeitungsartikeln ähnlich funktioniert.

Zukunftsmusik? Auch die Hardrockband AC/DC hat sich lange gegen Veränderungen gewehrt. Online-Stores würden die „Musikwirtschaft umbringen“, hatten die Altrocker gewettert. Jetzt haben sie ihren Widerstand aufgegeben. „Highway to Hell“ gibt’s neuerdings für 1,29 Euro im Netz. Daran wird der Rock ’n‘ Roll auch nicht zugrunde gehen.

Von Marcus Krämer und Heinrich Löbbers