Manchmal dachte Volontärin Franziska Klemenz, sie hätte gern mal wieder Zeit zum Abhängen. Dann brach sie sich einen Fuß und entlarvte ihren Irrtum.
Freizeit ohne Urlaub. Freizeit ohne die Bewilligung des Chefs. Ich liebe meinen Job, aber das habe ich manchmal vermisst. Mich an damals erinnert, an meine Zeit an der Uni. Nach fünfmaligem Ignorieren des Weckers auf die Uhr gucken und beschließen, dass es bei den eingeplanten Stationen zwischen Bett und Dusche nun ohnehin schon zu spät wäre, um noch während der akademischen Viertelstunde die letzte Reihe im Hörsaal zu erklimmen. Das mag mich einige Erkenntnisse gekostet haben. Aber es war ein Gefühl von großer Freiheit, nach zwölf Jahren der quälenden Schulpflicht entgegen meines natürlichen Rhythmus‘. Als ich morgens um acht mit Augenlidern aus Stahlbeton mathematische Höhenflüge beobachten musste, denen ich nicht folgen konnte – wollte. Es einfach nicht einsah, mich mit Dingen zu befassen, deren Nutzen sich mir damals nicht erschlossen.
Faulheit und Desinteresse ließ ich nach dem zweiten Semester an der Uni sukzessive hinter mir. Sobald ich unter Peter Hilbert, dem gutherzigen General der Stadtredaktion Dresden, mein erstes redaktionelles Praktikum absolviert hatte, glühte ich. Mit dem Journalismus hatte ich meine Passion gefunden, Faulheit kannte ich nicht mehr. Und so arbeitete ich in Dresden, Bamberg, Berlin und wieder in Sachsen in Redaktionen. Die humanen Arbeitszeiten beflügelten mich, mit Abend- und Nachtschichten hatte ich nie ein Problem. Aber manchmal kam er, der Gedanke. Während ich seit Abschluss meines Bachelors 2015 arbeite, studiert der Großteil meiner Freunde noch. Irgendwann merkte ich, dass ich plötzlich eine von „den anderen“ war. Von denen, die lange im Voraus planen müssen. Früher fremde Aliens für mich: Menschen ohne Zeit, von Montag bis Freitag. Die nur an Wochenenden Dinge tun können, keine Semesterferien mehr genießen und ihre Urlaubstage dementsprechend mit Sinnstiftendem füllen müssen. Mit Reisen. Nicht, dass ich Reisen jemals gegen Schimmeln tauschen würde, zu gierig sehne ich mich nach der ganzen Welt. Aber manchmal, dachte ich, wäre es toll, jetzt einfach ein paar Tage zum Lesen zu haben. Oder zum Nachdenken. Tagebuch schreiben. Hobbies entwickeln, tote Winkel von Dresden sehen. Alles Dinge, die so wenig Raum bekommen, fülle ich meine Freizeit doch meist mit Freunden.
Dann passierte etwas, das meinem Selbstbild fremder war als eine Sinuskurve: Ich brach mir den Fuß. Ich und ein Bruch? In meinem Weltbild zwei Schuhe, ein Ballerina und ein Stahlkappen-Treter. Als der Arzt mir erzählte, dass ich nun sechs bis zwölf Wochen ausfalle, glaubte ich, er scherzt. Ich lachte, er wartete mit einer Mischung aus Entnervtheit und Gleichgültigkeit darauf, dass die Erkenntnis durchsickerte.
Ich bin nie krank. Selbst Grippen ignoriere ich lieber. Herumliegen fühlt sich kränker an als Arbeiten, außerdem falle ich echt ungern aus. Nun hatte ich zum ersten Mal in der Geschichte meiner wenigen Erkrankungen keinen Spielraum. Ich musste operiert werden. Und still liegen. Ohne Krücken geht seit Wochen gar nix mehr.
Nach Jahren hatte ich mal wieder Zeit, richtig ordentlich abzuhängen. Ein paar Tage lang schimmelte ich hippelig vor mich hin, genoss die Exotik der Erfahrung. Dann hatte ich genug. „Na schön“, dachte ich trotzig. „Dann suche ich mir jetzt eben ein tolles Projekt. Lerne Mandarin oder ein Instrument oder arbeite die wichtigsten Erkenntnisse eines Politik-Studierenden durch.“ Und das sollte Schimmeln sein? Mein Kopf war gar nicht mehr dazu imstande. Ich las Zeitung, viel Zeitung. Und war müder, als ich dachte. Ich schlief, ich las, ich glotzte vom Balkon, ich konnte mich nicht bewegen. Ich guckte unendlich viele sinnlose Videos im Internet, befasste mich mit den Abgründen von 8chan und biberte mich durch die sumpfigsten Foren des Internets. Aber irgendwie ungerichtet, unbefriedigend. Nicht wie bei einer richtigen Recherche, die zu (k)einer Erkenntnis führt. Ich verlor mich in Nonsense. Ich las die Texte von KollegInnen, mir fielen Themen ein, meine Finger kribbelten, ich wollte wieder schreiben. Werde ich das noch können, wenn ich zurückkehre? Wahrscheinlich ein alberner Gedanke, der mir gleichwohl zeigt, wie sehr meine Arbeit inzwischen zu meinem Leben gehört. Mandarin spreche ich bis heute nicht und das Instrument steht auch noch im Laden. In zwei Wochen darf ich endlich wieder arbeiten. Journalistin sein bedeutet eben doch nicht einfach nur, eine von denen zu werden, von den Arbeitenden mit Bausparverträgen, die mir früher wie fremdgesteuerte Aliens erschienen. Es ist nicht einfach nur ein Job. Die Journalistin gehört zu meiner Identität. Nicht, dass ich das nicht lange ahnte. Aber ich musste mir erst den Fuß brechen, um die romantische Vorstellung des Schimmelns schließlich zu entlarven. Als eine, die im Grunde nicht mehr zu mir passt. Zumindest nicht im Übermaß.