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„Zeitungmachen ist eine Frage des Herzblutes“

Jens Ostrowski leitet die jüngste Redaktion der Sächsischen Zeitung. Nur ein Jahr nach seinem Volontariat bei der Westfälischen Rundschau bewarb er sich auf die Stelle in Riesa.

Wie ist es, wenn eine Redaktion aus Dreißigjährigen für die Leser um die Sechzig schreibt? 

Dass der Altersdurchschnitt unserer Abonnenten steigt, alarmiert uns. Wir werden aber nicht den Fehler machen und eine Seniorenzeitung produzieren. Wir setzen auf eine Themenmischung, die für alle Generationen etwas bereithält. Wir machen eine Zeitung für die ganze Familie, weil wir nur so bei potenziellen – auch jungen – Neuabonnenten punkten können. Das junge Durchschnittsalter unserer Redaktion spielt bei den Lesern keine spürbare Rolle. Was man aber manchmal zu hören bekommt, gerade wenn in der Zeitung ein Fehler passiert ist, vielleicht der Straßenname falsch geschrieben wurde: „Na ja, die kommen ja nicht von hier.“ Und gerade weil nicht alle aus unserer Redaktion aus der Region stammen, ist es besonders wichtig, noch aufmerksamer zu arbeiten.

Und wo liegt der Altersdurchschnitt bei den Lokalchefrunden?

Wie alt die Kollegen im Einzelnen sind, weiß ich natürlich nicht genau. Der Durchschnitt liegt so bei Anfang 50. Ich selbst bin im Februar 30 geworden – und damit das Nesthäkchen in der Lokalchefrunde.

Viele junge Leute zieht es nach Berlin, Hamburg oder Dresden. Warum ist Riesa der richtige Ort für junge Journalisten?

Ich kenne ja die Arbeit in der Großstadtredaktion Dortmund, die unheimlich viel Spaß gemacht hat. Aber, um als Redaktionsleiter Fuß zu fassen, kann ich mir keinen besseren Ort als den Altkreis Riesa vorstellen. Hier gibt es alles, was man braucht, um Zeitung zu machen. Die Stadt befindet sich im Strukturwandel, hier gibt es ein eigenes Amtsgericht, eine Justizvollzugsanstalt, mehrere wirtschaftliche Globalplayer, die Gedenkstätte eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers, hier sind 1945 Ost- und Westfront aufeinander getroffen. Dazu kommt ein Fußballverein mit großer DDR-Tradition, der wieder in die Oberliga aufsteigen will. Nicht zu vergessen: Hier wohnt die NPD-Bundesführung, hier sitzt der NPD-Verlag Deutsche Stimme. Das alles zusammen macht die journalistische Arbeit hier unheimlich spannend.

Wie sind Sie so schnell Chef geworden?

Durch eine Stellenanzeige bei newsroom.de. Die Aussicht darauf, eine Lokalausgabe weiterzuentwickeln, hat einen unheimlich großen Reiz auf mich ausgeübt. Und das hat sich bis heute nicht geändert. In diesen schwierigen Zeiten ein Blatt zu machen, das nicht nur die Bestandsleser befriedigt, sondern auch neue findet, halte ich für eine riesengroße Herausforderung. Man braucht Ideen und muss viel ausprobieren. Und man darf sich nicht zu schade sein, Neuerungen, die nicht funktionieren, wieder rückgängig zu machen. Solche Aufgaben sind nichts für Sicherheitsfanatiker. Mich reizen sie. Mir ist bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, ein Jahr nach dem Volontariat auf eine Redaktionsleiterstelle zu rutschen. Bei der SZ habe ich die Chance vor anderthalb Jahren geboten bekommen. Und das war für mich auch der Hauptgrund für den beruflichen Wechsel aus einer Mantelredaktion zurück ins Lokale.

Fehlt Ihnen als Redaktionsmanager manchmal das Schreiben?

An die Umstellung muss man sich gewöhnen. Plötzlich geht es nicht mehr nur darum, Themen zu finden, Termine wahrzunehmen und diese für die eigene Seite zu schreiben. Plötzlich geht es um das große Ganze. Um Etatfragen, um Personalplanung, um sämtliche administrative Aufgaben, die mit Journalismus rein gar nichts zu tun haben. Dazu kommt der redaktionelle Alltag, aus dem man sich in einer fünfköpfigen Redaktion nicht komplett herausnehmen kann. Freiräume sind aber wichtig, wenn man die Zeitung weiterentwickeln möchte. Die Konzeptplanung von Serien, neuen Rubriken, Formen der Leser-Blatt-Bindung braucht Zeit, die man sich nehmen muss. Ich weiß ein junges, dynamisches Team hinter mir, das mir diese Freiräume ermöglicht – und auf das ich mich verlassen kann.

Was macht Ihre Redaktion anders als die alten Hasen?

Ich habe in den letzten zehn Jahren gemerkt, dass es keine Frage des Alters ist, ob eine Redaktion eine gute Zeitung macht oder eben nicht. Mir sind Kollegen mit 40 Jahren Berufserfahrung über den Weg gelaufen, die ihr Blatt richtig rocken, die überraschende Themen setzen und auf ausgefallene Optiken stehen. Dann sind mir junge Kollegen begegnet, die Zeitung so verstehen, wie sie vor dreißig Jahren gemacht wurde. Das Klischee von dynamischen Jungen und eingestaubten Alten ist also völliger Quatsch. Zeitungmachen ist eine Frage des Herzblutes und nicht des Alters. In Riesa wollen wir überraschende Inhalte in frischen Optiken präsentieren. Zum einen brauchen wir Themen, die große Teile unserer Leserschaft interessieren. Und wenn die noch optisch so präsentiert sind, dass sie den Leser schnell leiten und dazu noch verblüffen, weil das Layout aus dem Rahmen fällt, sind wir zufrieden. Aber die Zeitung darf nicht zum Kirmesblättchen werden.

Wie sieht die optimale Ausgabe also aus?

Man braucht eine durchgehend sauber gestaltete Zeitung mit einzelnen Höhepunkten. Alles in allem ist das der tägliche Versuch, Henri Nannens berühmten Küchenruf zu provozieren: „Hast Du schon gelesen, was in der Zeitung steht?“ So landet die Azubi-Serie in den Händen des Enkels. So gelangt der Kita-Test zur jungen Familienmutter. Und so erfährt auch der Nichtleser, dass der Bürgermeister beim Diebstahl von gemeindeeigenen Pflastersteinen erwischt wurde. Wann immer ein Nichtleser unsere Zeitung in die Hände bekommt, muss er Themen finden, die ihn brennend interessieren. Je öfter das geschieht, desto größer die Chance, dass er künftig für unsere Inhalte zahlt.

Die Fragen stellte Dagny Rößler.