Das Rathaus in Freital.
Erfahrungsbericht

Drei Monate Paartherapie

Angelina hat einen Sommer lang für die Lokalredaktionen in Freital und Pirna gearbeitet. Dabei hat sie gemerkt, dass ihre Liebesbeziehung zum Lokaljournalismus auch Krisen übersteht.

Ich verliebe mich leicht und oft. Doch nur selten wird aus meinen Schwärmereien eine ernsthafte Beziehung. Wenn ich mich aber auf eine Partnerschaft einlasse, dann hält diese für viele Jahre.

Und doch hat bisher keine meiner Beziehungen so lange gehalten, wie meine Liebe zum Lokaljournalismus – nämlich ganze sechs Jahre. Das ist kein Wunder, schließlich habe ich viel in die Beziehung investiert. Im Studium habe ich mehr gearbeitet als studiert. Außerdem bin ich für den Journalismus in viele deutsche Städte und sogar ins Ausland nach Tschechien gezogen. Doch diesen Sommer hat die kleine Stadt Freital meine Liebe auf ihre bisher härteste Probe gestellt:

Der erste Artikel, mit dem mich mein neuer Chef in Freital beauftragt hat, war ein echter Lokaljournalismus-Klassiker: die Eröffnung der Freibad-Saison. Darüber hatte ich auch in der Vergangenheit schon geschrieben. Dementsprechend selbstbewusst habe ich mich also auf den Weg ins Freibad gemacht. Dort angekommen merkte ich jedoch schnell, dass ich mich wohl überschätzt hatte. Denn obwohl ich mich angekündigt hatte und wirklich freundlich war, hatten die Bademeister vor Ort so gar keine Lust, mit mir über ihre Arbeit zu sprechen.

Sie wollten nicht in der Zeitung erwähnt werden. Dabei ging es ja nur um die Reinigung von Becken und Liegewiesen und nicht um ihre Einschätzung des Nahostkonflikts.  Zu groß war das Misstrauen gegenüber den Medien und damit auch mir. Außerdem kannten sie mich nicht. Ich war neu in Freital und das sah man mir wohl an. Denn auch der Fotograf, der wenig später hinzukam, fragte: „Du bist nicht von hier, oder?“

Trotzdem hat er mir geholfen. Gemeinsam konnten wir den Bademeister-Azubi davon überzeugen, sich fotografieren zu lassen. Außerdem stimmte einer seiner Kollegen am Ende zu, ihn mit Vornamen zitieren zu dürfen. Ich hatte also alle Informationen, die ich für den Artikel brauchte und war trotzdem ziemlich gefrustet.

Szenen wie diese wiederholten sich. Ein Autohaus-Inhaber wollte nicht mit mir über seine neu installierte E-Ladesäule sprechen. Dabei kann so ein Zeitungsartikel ja durchaus für nützliche Aufmerksamkeit sorgen. Irgendwann begann ich wirklich an mir selbst zu zweifeln. Spreche ich die Leute nicht richtig an? Komme ich falsch rüber? Was kann ich ändern? All diese Fragen kreisten in meinem Kopf. Schließlich kam auch ein-, zweimal der Gedanke auf, ob ich hier überhaupt richtig bin.

Zweifel, die kann und sollte man immer haben. Doch eine langjährige Beziehung deshalb einfach aufzugeben, das kam für mich nicht infrage. Also bat ich meinen Chef um Tipps für die Ansprache von möglichen Protagonist*innen. Ich überlegte mir eigene Themen und schrieb fleißig große und kleine Texte. Ich testete die Freitaler Imbisse auf ihr vegetarisches Angebot, begleitete Kinder zu ihrem ersten Schwimmkurs nach dem Lockdown und traf eine Klimaaktivistin zum Interview.

Und dann kam Marcus Loesdau, ein junger Rettungssanitäter, der nach Feierabend jede freie Minute bei der Freiwilligen Feuerwehr in Freital arbeitet. Eine wirklich interessante Persönlichkeit, die ihr ganzes Leben der Rettung von Menschen widmet. Ohne meinen Job hätte ich Marcus Loesdau nie kennengelernt und damit hätten ich und viele Leser*innen eine wirklich spannende Geschichte verpasst. Spätestens da wurde mir wieder bewusst, warum ich den Lokaljournalismus so liebe: Weil die besten Geschichten meist gleich nebenan passieren. Man muss sie nur suchen und erzählen.