Ein Mann liest die Sächsische Zeitung und markiert mit einem Stift, was er liest.
Erfahrungsbericht

Was interessiert unsere Leserinnen und Leser?

Tim Ruben Weimer war kurz vor Ende seines Volontariats zu Gast bei den „Mehrwertmachern“. Dort prüfen Fachleute, welche Themen in der Zeitung auf Interesse stoßen – und welche nicht. Fernab vom Redaktionsalltag hat Tim so einiges für die Zukunft mitnehmen können. Ein Erfahrungsbericht.

Einen Monat lang keinen einzigen Artikel zu schreiben, das kann für einen Überzeugungs-Journalisten eine schwere Zeit werden. Dachte ich zumindest, als es im Zuge meines Volontariats für einen Monat zu den „Mehrwertmachern“ ging. Die Mehrwertmacher – das ist ein kleines Team vormaliger Redaktionsleiter, Datenanalysten, Entwicklern und Koordinatoren, die (derzeit noch) in einem Hinterhof um drei Ecken vom Dresdner Haus der Presse sitzen. Zusammen analysieren sie, wie gut die Artikel in der gedruckten Zeitung gelesen werden. Für die Online-Versionen unserer Artikel gibt es Clickzahlen, wir Journalisten schielen darauf, ob unser Artikel vielleicht einen Abonnenten angeworben hat, und bei den Social Media-Beiträgen analysieren wir die Reichweite. Die Mehrwertmacher machen das für die gedruckte Zeitung. Und ziehen Ratschläge für die jeweilige Redaktion daraus.

Ich merkte schnell: Fast macht es noch mehr Spaß, die Artikel anderer Kollegen zu kritisieren (natürlich nur solcher, die ich persönlich nicht kannte) als selber Artikel zu schreiben. Dafür schaute ich mir die aktuelle Ausgabe einer Zeitung an. In meinem Fall war das die Siegener Zeitung, die hatten nämlich gerade eine „Messphase“ bei den Mehrwertmachern laufen. Jeder Artikel bekommt automatisch zwei Werte zugewiesen: Einen Blickwert und einen Durchlesewert. Beide Werte generieren sich aus einer ausgewählten Gruppe von Lesern, die mit einem „Lesestift“ ausgestattet wurden und jeden Morgen (oder Abend) die Artikel scannten, die sie gelesen hatten. Anhand von Blick- und Durchlesewert konnten wir nun sehen, ob ein Artikel gelesen wurden und wenn ja, bis zu welcher Stelle.

Anhand dieser beiden Werte lernte ich schnell Zusammenhänge kennen: Die klassische Berichterstattung von Vereinssitzungen, die von manchen Zeitungen noch praktiziert wird, interessiert die Leser kaum noch. Und auch Konzertrezensionen und Berichte von Fußballspielen haben es schwer – wenn sie nicht mit einem besonders interessanten und ungewöhnlichen Dreh aufschlagen. Auch wenn der neue Vorsitzende von Verband xyz zu Besuch ist, geht das den Lesern meist erst einmal gehörig am A.. vorbei. Generell ist die Überschrift immens wichtig und muss den Kern des Textes auf den Punkt bringen, im besten Fall zusammen mit dem Vorspann noch irgendwie eine unaufgelöste Pointe vollbringen, damit der Leser unbedingt in den Text einsteigt.

Hohe Anforderungen an die Reporter. Und oft genug merkte ich selber, dass ich das Niveau an Leseransprache, das ich bei meinen vormittäglichen Artikel-Analysen kritisierte, selber nie leisten könnte. Das Wort, das im Gespräch mit den Redaktionscoaches am Häufigsten fiel, war sicherlich „Leserperspektive“. Was interessiert den durchschnittlichen Leser an dem Thema? Wenn ich am Wochenende auf den Herbstmarkt gehe – will der Leser dann wirklich eine bloße Nacherzählung meines Spaziergangs von Stand zu Stand lesen? Oder finde ich vielleicht doch die kleine, besondere Geschichte, die es all die vorigen Jahre so noch nicht gegeben hat?

Bei den Mehrwertmachern sind die Redaktionscoaches höchst routiniert. Sie haben langjährige Erfahrungen mit eigenen Redaktionen gemacht und wissen genau, was bei den Lesern funktioniert und was nicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Messwerte dienten ihnen eigentlich nur als Beweismittel, die Schlüsse hätten sie aber auch ohne die Zahlen treffen können.

Eine Kategorisierung, die mir völlig neu war, betraf die Unterteilung der Artikel in Muss-Themen, Kann-Themen und Soll-Themen. Ohne die Muss-Themen gelesen zu haben, kann der Zeitungsleser nicht ins Bett gehen. Bauarbeiten, Preiserhöhungen oder der Bombenfund vor seiner Wohnungstür – die Themen betreffen den Alltag des Lesers unmittelbar. Bei den Soll-Themen hätten wir Journalisten gerne, dass der Leser die betreffenden Artikel liest. Im Endeffekt geht es bei diesen Artikeln aber nur darum, gut informiert zu sein und bei (oftmals politischen) Diskussionen mitreden zu können. Beim Leser muss also schon ein gewisser Anspruch an sich selbst vorhanden sein, um diese Artikel zu lesen. Und bei den Kann-Themen ist es dann völlig willkürlich, ob ein Artikel nun gelesen wird oder nicht. Manchen interessiert halt die Arbeit der örtlichen Vogelschutzstation, andere nicht. Auf keine dieser Themen sollte eine gute, abwechslungsreiche Zeitungs-Ausgabe verzichten, aber die Muss-Themen, die wirklich alltagsrelevanten Themen, sollten den Großteil des Platzes füllen. Aber sind wir mal ehrlich: Kaum einer von uns hat so ein gutes journalistisches Gespür, jeden Tag nur Muss-Themen zu produzieren. Den Großteil der meisten Zeitungen füllen immer noch Kann- und Muss-Themen. Die Berichte von Vereinen, Ratssitzungen, neu eröffneten Geschäften oder Tanzabenden.

Für mich habe ich aus meiner Zeit bei den Mehrwertmachern die Lehre gezogen: Überlege, was das was du gerade schreibst, für das Leben der Menschen bedeutet. Wir Journalisten überschätzen die Bedeutung unserer Worte viel zu häufig. Die großen, politischen Diskussionen mögen viele interessieren, aber in erster Linie sind wir Journalisten Lebensberater. Wir geben den Lesern die Informationen, die sie für ihren Alltag wirklich brauchen. Zumindest im Lokaljournalismus funktioniert das so, aber ich bin der Meinung, dass auch in der Politik, im Feuilleton oder im Sport Lesernähe möglich ist. Und wenn es dann statt um den neuesten Spielertransfer bei Dynamo Dresden einfach mal um die Parkplatzsituation vor dem Stadion geht, hat das nichts mit Niveaulosigkeit oder einem Downgrade des journalistischen Anspruchs zu tun. Es zeigt, dass wir uns um unsere Leser kümmern.

Als Volo eine Station bei den Mehrwertmachern einzulegen, kann ich nur jedem empfehlen. Mit Datenjournalismus – wie ich mir das im Vorhinein vorstellte – hatte der Monat tatsächlich wenig zu tun. Stattdessen war jeder Tag eine Praxislektion an journalistischem Handwerk – ohne sich dabei selber auf den Schuh gedrückt zu fühlen. Ach, und das Beste habe ich vergessen: Die Mehrwertmacher sind so hipp, dass es im Büro Cola for free gibt! 😉

Das Bild zeigt eine Kombination aus einem Porträt von Fionn Klose, Praktikant bei der Sächsischen Zeitung, und einem Bild von der Gegendemo zum Afd-Parteitag in Riesa
Erfahrungsbericht

Der „Call of Duty“ des Fionn

Längst vergangene Demonstrationen wurden Geschichtsstudent Fionn Klose schnell zu öde. Lieber will er sie selbst erleben! Ein Praktikum in der Politikredaktion der SZ ist da genau das Richtige, denkt sich Fionn – und er hat Recht. Hier schreibt er über seine Erlebnisse und zieht Halbzeitbilanz.

Bevor ich an meinem ersten Praktikumstag ins Haus der Presse gehe, muss eine Beruhigungszigarette auf jeden Fall noch sein. Und eine Flasche Wasser vom Bäcker. Ich bin wirklich sehr nervös und die ganze Zeit dreht sich ein Gedankenkarussell in meinem Kopf: Mit welchen Leuten werde ich da zu tun haben? Was für Aufgaben kommen auf mich zu? Das sind nur einige Fragen, die da auf dem Karussell ihre Runden drehen.

Doch als ich in die Politikredaktion der Sächsischen Zeitung eintrete und mich schon einige RedakteurInnen und die Sekretärin sehr freundlich begrüßen, legt sich die Nervosität erstaunlich schnell wieder. Ich werde zum Büro eines Kollegen geführt, der gerade im Urlaub ist. Holla die Waldfee, ich mach ein Praktikum und hab mein eigenes Büro. Das ist schon mal kein schlechter Anfang.

Und dann geht es auch schon los mit der ersten Aufgabe. „Geh mal die Zeitungen der letzten Tage durch und suche dir ein Thema, das du bearbeiten willst.“, sagt meine Chefin zu mir. Alles klar! Seit Beginn meines Praktikums recherchiere ich nun zum Thema Studienabbruch. Und das wirklich komplett selbstständig mit Interviews, Terminvereinbarungen und eigener Recherchearbeit. Ich hole Wasser und Kaffee, aber nur für mich selbst. Ich denke, dass das jetzt das Thema ist, mit dem ich mich die gesamten sechs Wochen beschäftigen werde. Aber weit gefehlt.

Schon am zweiten Tag gehe ich mit zu einer Pressekonferenz in die Staatskanzlei. Es geht um die „Konsolidierung von Förderprogrammen und Weiterentwicklung der sächsischen Förderstrategie“. Ein Thema, was für mich als Unwissender auf jeden Fall nicht so spannend ist wie für die Kollegen, von denen manche wirklich auf heißen Stühlen sitzen. Aber es ist schon interessant, im Medienzentrum der Staatskanzlei zu sitzen und beobachten zu dürfen, wie Martin Dulig ausgefragt wird.

Am 18. Juni fahre ich dann zur Gegendemo zum AfD-Bundesparteitag in Riesa. Bei gefühlten 60 Grad im Schatten bin ich schon neidisch auf die KollegInnen, die da gerade in der klimatisierten Halle sitzen. Ich ziehe mit meiner Kamera und zwei Kollegen aus der Lokalredaktion los und wir begleiten die Demo. Am Ende kann ich sogar noch ein paar Informationen von meinem Notizblock in den Artikel schreiben. Natürlich ist es auch echt cool mit polizeilichem Segen in einen Bereich zu kommen, den nur Pressevertreter betreten dürfen.

In der nächsten Woche bekomme ich den Auftrag, zu einer Pressekonferenz des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs zu gehen und darüber zu berichten. Und dann schreibe ich auch schon meinen ersten Artikel, der auch in der Printausgabe veröffentlicht wird. Einen Tag später schiebe ich sogar noch einen Kommentar zum Thema Ausbau des Radverkehrs in Sachsen hinterher. Stolz wie Bolle rufe ich meine Mutter an, die sich sogleich eine Zeitung kauft. Danach schreibt sie mir eine Mail, in der sie mich für die gute Rechtschreibung und Grammatik lobt. Sogar die Kommasetzung würde stimmen.

Neben dem Text zum Studienabbruch schreibe ich jetzt noch einen Artikel über die Flüchtlingssituation in Sachsen. Meine ersten drei Wochen sind echt interessant und ich bin gespannt, welche Themen in den nächsten drei Wochen folgen. Ich weiß schon jetzt, Journalismus ist meine Berufung. Mein ganz persönlicher „Call of Duty“.


Ein Stapel Zeitungen liegt auf einem Tisch.
Erfahrungsbericht

Die Geschichte meines Volos

In zwei Jahren Volontariat entstehen viele spannende, bewegende und wichtige Artikel. Doch manche Texte bleiben einem dauerhaft im Gedächtnis. Deshalb stellen einige (ehemalige) Volontär*innen diese Geschichten hier vor – Angelina beginnt.

Ein kleiner, manchmal blasser, zweiter Streifen hat die Macht, das Leben einer Frau für immer zu verändern. Zumindest, wenn er auf einem Schwangerschaftstest erscheint. Während er für viele Frauen absolutes Glück und die Freude auf ein Baby bedeutet, kann er sich für andere Schwangere wie eine große Katastrophe anfühlen. Er kann der Anfang einer Erfahrung sein, die Frauen oft ihr ganzes Leben lang begleitet. Zumindest glaubt keine der Frauen, mit denen ich für meinen bisher wichtigsten Text gesprochen habe, dass sie irgendwann aufhören werden, an ihren Schwangerschaftsabbruch zu denken. Genau deshalb ist mir dieser Text auch so wichtig. Genau deshalb habe ich weiterrecherchiert, obwohl ich oft das Gefühl hatte, dem Thema vielleicht noch nicht gewachsen zu sein.

In meiner bisher aufwändigsten Recherche habe ich mich damit auseinandergesetzt, ob es überall in Sachsen möglich ist, eine ungewollte Schwangerschaft einfach und sicher abzubrechen. Auf die Idee, bin ich durch eine Geschichte im Tagesspiegel gekommen. In dem Text beschreibt eine Frau aus Bayern ihren Schwangerschaftsabbruch und all die Hürden, die ihr dabei begegnet sind. Aus anderen Artikeln zum Thema Schwangerschaftsabbruch wusste ich bereits, dass es in einigen Regionen (Süd-)Deutschlands schwierig sein kann, einen Arzt oder eine Ärztin dafür zu finden.

Ich habe mich deshalb gefragt, wie die Versorgungslage in Sachsen wohl ist. Also habe ich mir zunächst die Liste der Bundesärztekammer angesehen, in der sich alle Gynäkolog*innen eintragen können, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Allerdings ist diese Liste nicht vollständig und oft wird auch nicht erwähnt, welche Methoden die Arztpraxen und Kliniken anbieten. Also habe ich bei der Landesärztekammer aber auch bei einer Vielzahl von Beratungsstellen nachgefragt, wie sie die Versorgungslage in Sachsen beziehungsweise ihrer Region einschätzen. Schnell wurde klar: Ganz so schlecht wie in Bayern ist die Lage in Sachsen nicht. Verbesserungsbedarf besteht dennoch.

Ich wollte für meine Recherche unbedingt mit Frauen sprechen, die bereits eine Schwangerschaft in Sachsen abgebrochen haben. Deshalb startete ich einen Aufruf auf Social Media. Tatsächlich konnte ich mit mehreren Frauen persönlich über ihre Erfahrungen sprechen. Dass diese Frauen mir diese sehr intimen und emotionalen Geschichten anvertraut haben, war für mich eine große Ehre.

Vor dem Aufschreiben des fertigen Textes hatte ich großen Respekt. Ich sorgte mich, dem komplexen und kontroversen Thema nicht gerecht zu werden oder nicht neutral genug an die Sache herangegangen zu sein. Schließlich entschied ich mich dazu, meinen Text an der Geschichte einer der Frauen aufzuhängen, die mit mir gesprochen haben. Ihre Geschichte zeigte am besten, was für Schwangere in dieser Situation am wichtigsten ist. Das bedeutete gleichzeitig, dass ich andere Geschichten weglassen musste, was mir nicht leicht viel. Auch konnte ich aufgrund der schieren Menge an Informationen und Aspekten nicht alle meine Rechercheergebnisse in dem finalen Text unterbringen. So ist das aber oft. „Kill your Darlings!“, das wurde uns in der Henri-Nannen-Schule immer wieder eingebläut. Das bedeutet, dass man sich von Informationen und Geschichten trennen muss, auch wenn sie spannend sind, wenn ein Artikel dadurch an Verständlichkeit und Struktur gewinnt.

Im Nachhinein bin ich trotzdem froh, mir diese Recherche zugetraut zu haben. Denn von mehreren Beratungsstellen und Organisationen habe ich die Rückmeldung bekommen, dass er die Versorgungslage in Sachsen gut zusammenfasst und sie ihn als Referenz zu diesem Thema verwenden werden. Außerdem hat er mir gezeigt, dass man auch als eher unerfahrene Journalistin über ein komplexes und kontroverses Thema schreiben kann, wenn man sich wirklich reinhängt und genug Unterstützung von der Redaktion erhält, für die man gerade arbeitet.

Wer jetzt Lust bekommen hat, meinen Text zu lesen, der kann das hier tun:

Das Rathaus in Freital.
Erfahrungsbericht

Drei Monate Paartherapie

Angelina hat einen Sommer lang für die Lokalredaktionen in Freital und Pirna gearbeitet. Dabei hat sie gemerkt, dass ihre Liebesbeziehung zum Lokaljournalismus auch Krisen übersteht.

Ich verliebe mich leicht und oft. Doch nur selten wird aus meinen Schwärmereien eine ernsthafte Beziehung. Wenn ich mich aber auf eine Partnerschaft einlasse, dann hält diese für viele Jahre.

Und doch hat bisher keine meiner Beziehungen so lange gehalten, wie meine Liebe zum Lokaljournalismus – nämlich ganze sechs Jahre. Das ist kein Wunder, schließlich habe ich viel in die Beziehung investiert. Im Studium habe ich mehr gearbeitet als studiert. Außerdem bin ich für den Journalismus in viele deutsche Städte und sogar ins Ausland nach Tschechien gezogen. Doch diesen Sommer hat die kleine Stadt Freital meine Liebe auf ihre bisher härteste Probe gestellt:

Der erste Artikel, mit dem mich mein neuer Chef in Freital beauftragt hat, war ein echter Lokaljournalismus-Klassiker: die Eröffnung der Freibad-Saison. Darüber hatte ich auch in der Vergangenheit schon geschrieben. Dementsprechend selbstbewusst habe ich mich also auf den Weg ins Freibad gemacht. Dort angekommen merkte ich jedoch schnell, dass ich mich wohl überschätzt hatte. Denn obwohl ich mich angekündigt hatte und wirklich freundlich war, hatten die Bademeister vor Ort so gar keine Lust, mit mir über ihre Arbeit zu sprechen.

Sie wollten nicht in der Zeitung erwähnt werden. Dabei ging es ja nur um die Reinigung von Becken und Liegewiesen und nicht um ihre Einschätzung des Nahostkonflikts.  Zu groß war das Misstrauen gegenüber den Medien und damit auch mir. Außerdem kannten sie mich nicht. Ich war neu in Freital und das sah man mir wohl an. Denn auch der Fotograf, der wenig später hinzukam, fragte: „Du bist nicht von hier, oder?“

Trotzdem hat er mir geholfen. Gemeinsam konnten wir den Bademeister-Azubi davon überzeugen, sich fotografieren zu lassen. Außerdem stimmte einer seiner Kollegen am Ende zu, ihn mit Vornamen zitieren zu dürfen. Ich hatte also alle Informationen, die ich für den Artikel brauchte und war trotzdem ziemlich gefrustet.

Szenen wie diese wiederholten sich. Ein Autohaus-Inhaber wollte nicht mit mir über seine neu installierte E-Ladesäule sprechen. Dabei kann so ein Zeitungsartikel ja durchaus für nützliche Aufmerksamkeit sorgen. Irgendwann begann ich wirklich an mir selbst zu zweifeln. Spreche ich die Leute nicht richtig an? Komme ich falsch rüber? Was kann ich ändern? All diese Fragen kreisten in meinem Kopf. Schließlich kam auch ein-, zweimal der Gedanke auf, ob ich hier überhaupt richtig bin.

Zweifel, die kann und sollte man immer haben. Doch eine langjährige Beziehung deshalb einfach aufzugeben, das kam für mich nicht infrage. Also bat ich meinen Chef um Tipps für die Ansprache von möglichen Protagonist*innen. Ich überlegte mir eigene Themen und schrieb fleißig große und kleine Texte. Ich testete die Freitaler Imbisse auf ihr vegetarisches Angebot, begleitete Kinder zu ihrem ersten Schwimmkurs nach dem Lockdown und traf eine Klimaaktivistin zum Interview.

Und dann kam Marcus Loesdau, ein junger Rettungssanitäter, der nach Feierabend jede freie Minute bei der Freiwilligen Feuerwehr in Freital arbeitet. Eine wirklich interessante Persönlichkeit, die ihr ganzes Leben der Rettung von Menschen widmet. Ohne meinen Job hätte ich Marcus Loesdau nie kennengelernt und damit hätten ich und viele Leser*innen eine wirklich spannende Geschichte verpasst. Spätestens da wurde mir wieder bewusst, warum ich den Lokaljournalismus so liebe: Weil die besten Geschichten meist gleich nebenan passieren. Man muss sie nur suchen und erzählen.

Erfahrungsbericht

Darum wollen wir Journalist*innen werden

Sieben junge Frauen und Männer werden zurzeit
bei der SZ zu Redakteur*innen ausgebildet. Ihr zweijähriges Volontariat führt sie durch alle Ressorts der Zeitung. Hier erklären sie, was sie sich von ihrem Beruf versprechen.

Timotheus Eimert

Vor 30.000 Leuten

Einmal vor 30.000 Menschen Fußball spielen – das ist der Traum eines jeden Fußballjungen. So auch meiner. Doch irgendwann musste ich feststellen, dass meine Qualitäten nicht für
ein Spiel im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion ausreichen. Dass ich heute dennoch manchmal vor 30.000 Menschen arbeiten darf (wenn nicht gerade Corona ist), habe ich einem Zeitungspraktikum zu verdanken. Ein Montagabendspiel in der 2. Bundesliga zwischen Dynamo Dresden und Fortuna Düsseldorf vor neun Jahren hat den Grundstein für eine Karriere im Journalismus gelegt. Heute berichte ich nicht nur über Dynamo-Spiele, sondern schreibe über fehlende Sporthallen, neue Buslinien, Kitas und Gesundheitsämter, die bei Corona-Inzidenzen tricksen. Kein Tag ist wie der andere. Täglich lerne ich neue Menschen kennen. Welcher Beruf bietet solche Vielfalt? Auf Sächsische.de kann ich zwar schneller und aktueller berichten als in der Zeitung, dennoch möchte ich Lesern vor allem Orientierung bieten. Verlässliche Informationen und gut recherchierte Texte. Gerade dafür brauche ich eine gute Ausbildung.

Erik-Holm Langhof

Alles hinterfragen

Ich war 15, als ich bei der Sächsischen Zeitung als Praktikant angefangen habe. In der Lokalredaktion Zittau habe ich gelernt, wie wichtig es ist, über regionale Themen zu schreiben und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Das hat sich auch die folgenden Jahre so gehalten, weshalb ich 2019 als Volontär in der Lokalredaktion Döbeln gestartet bin. Für mich hat der Journalist eine wichtige Aufgabe: schwierige, interessante Themen möglichst leicht verständlich, wahrheitsgetreu und objektiv für Leser, Hörer oder Zuschauer aufarbeiten. Vor allem in der heutigen medialen Zeit wird diese Aufgabe immer wichtiger. Nicht zuletzt deshalb setze ich mich dafür ein, dass Falschmeldungen verhindert werden und sich qualitativer Journalismus auch weiterhin durchsetzt. Kritisch sein, Dinge hinterfragen, Nachrichten gut aufarbeiten und Menschen zu Wort kommen lassen – das ist mein Ziel als Redakteur, das ich täglich verfolge und auch in Zukunft verfolgen möchte. Egal, ob in Print, online oder den sozialen Netzwerken.

Marvin Graewert

Nimm das, Zuckerberg!

Häufiger werde ich gefragt, warum ich ausgerechnet bei einer Zeitung arbeite: Das nervige Rascheln, das unhandliche Format und für Menschen geschrieben, für die
meine Großeltern im Bus aufstehen würden. Warum die SZ, wenn ich auch für Joko Winterscheidts JWD-Magazin oder den Spiegel-Online-Ableger bento arbeiten könnte. Aus heutiger Sicht ist die Antwort einfach: Beide wurden eingestellt.
Tatsächlich lässt sich in einer Zeitungsredaktion beides vereinen: Ruhe für gut recherchierte Texte und Spielwiese für neue Erzählformate. Das spannende Leben der Menschen um uns herum kennenzulernen und aufzuschreiben, macht unglaublich viel Spaß. Dass sich damit auch junge Leser begeistern lassen, zeigen regelmäßige Experimente in meiner WG-Küche: Auch
wenn es niemand zugeben würde, greifen morgens alle nach der Zeitung. Jeder liest sich an irgendeiner Stelle fest, zumindest so lange, bis ich mit Block und Stift unter dem Küchentisch hervorspringe und kreische: „Nimm das, Marc Zuckerberg!

Angelina Sortino

Auch Spießer sind spannend

Dass ich Journalistin werden möchte, habe ich während meines ersten Praktikums bei einer süddeutschen Lokalzeitung gemerkt. In meinem ersten Text, der in dieser
Zeitung abgedruckt wurde, ging es um eine knapp zwei Meter hohe Pflanze im Garten eines Rentners – zugegebenermaßen kein Thema, das die Welt bewegt. Dennoch
merkte ich schnell, dass selbst die etwas spießige Kleinstadt, für die meine Redaktion verantwortlich war, voller spannender Menschen und Geschichten steckte, die ich unbedingt erzählen wollte. Das ist auch der Grund dafür, dass ich nach mehreren Praktika bei überregionalen Medien immer wieder gern zum Lokaljournalismus zurückgekehrt bin. Denn obwohl es natürlich auch spannend und wichtig ist, sich mit großen gesellschaftlichen Problemen und Zusammenhängen auseinanderzusetzen, beeinflussen die lokalen Ereignisse den Alltag von uns und unseren Lesern einfach am meisten. Ich werde Journalistin, weil ich die Geschichten von den Menschen erzählen will, denen sonst nicht genug zugehört wird. Ich wünsche mir, dass meine Texte die Leser berühren, wütend machen und zum Nachdenken anregen. Allerdings muss ich auch zugeben, dass mir mein Job einfach unglaublich viel Spaß macht, und das allein ist eigentlich schon Grund genug, um Journalistin zu werden.

Tim Ruben Weimer

Das Buch muss warten

Schon als Kind hatte ich den Wunsch, ein Buch zu schreiben. Ich fing an, mir Geschichten und Figuren auszudenken. Aber schon nach den ersten Seiten gingen mir die Ideen aus. Meine Geschichten waren viel zu „normal“, als dass sie jemand lesen würde.
Der Wunsch nach einem eigenen Buch blieb, bis heute. Doch inzwischen sind aus den Geschichten echte Begegnungen und aus den Figuren reale Personen geworden. Was ich mir vergeblich auszumalen versuchte, erlebe ich heute im echten Leben. Mit einem Senner stand ich morgens vor Sonnenaufgang auf, um Ziegen zu melken. Ich verbrachte ganze Nachmittage im stinkenden Dachzimmer eines „Reichsbürgers“. Das echte Leben ist häufig viel spannender als die Fantasie. Gleichzeitig weiß ich: Meine Geschichten konstruieren Realität. Meinen Lesern bin ich schuldig, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen.
Jeden Tag in einem neuen Thema vom Amateur zum Experten zu werden, darin liegt für mich der Reiz des Journalismus. Und vielleicht wird es ja eines Tages doch noch was mit meinem Buch mit „wahren“ Gesichten.

Luisa Zenker

Keine halbe Wahrheit

„Schreiben Sie bitte nicht so schlecht über uns.“ Das sagte mir kürzlich ein Sprecher des Essenslieferdienstes Lieferando, der für seine Arbeitsbedingungen in der Kritik stand. „Ich schreibe nicht schlecht“, versicherte ich, „sondern ehrlich.“
Viele Affären wären nicht aufgedeckt worden, hätten Journalisten und Journalistinnen nicht gründlich recherchiert. Solche, die selbst Themen setzen, andere Stimmen zu Wort kommen lassen und bei alledem den lokalen Alltag nicht vergessen.
Genau das möchte ich lernen, hier bei der Sächsischen Zeitung. Ob Stadträtin, Landtagsabgeordneter oder Geschäftsführerin – sie alle treffen wichtige Entscheidungen, deshalb sollte man ihnen besonders auf die Finger schauen. Denn was würde passieren, wenn kein Journalist mehr den Dresdner oder Freitaler Stadtrat kommentiert? Und um noch mal zum Anfang zurückzukommen: Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der nur halbe Wahrheiten über die Arbeitsbedingungen in großen Unternehmen veröffentlicht werden.

Martin Skurt

Zu viel Glutamat

Immer, wenn ich Chinesisch esse, fühle ich mich schlapp. Ich dachte lange, das liegt am Glutamat. Doch nach einer kurzen Recherche bin ich auf das Chinese Restaurant Syndrom gestoßen. US-amerikanische Ärzte beschrieben Ende der 1960er-Jahre genau meine Symptome. Mittlerweile weiß man jedoch, dass der Begriff eher den Rassismus von damals ausdrückt. Ob Glutamat Beschwerden auslöst, ist bis heute umstritten. Vielleicht esse ich nur immer zu viel davon. Was ich mit diesem kleinen Beispiel sagen will? Ich recherchiere unheimlich gern. Vertreibe mir ohne Probleme stundenlang in Online-Medien und Foren die Zeit. Als Journalist will ich digitale Kanäle verstärkt nutzen, relevante Informationen filtern und dabei interessante Geschichten aufstöbern sowie erzählen . Deshalb bin ich glücklich, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Das Spannendste ist dabei häufig der Weg zur Geschichte. Recherche eben. Die Recherche sei die Kür des Journalismus, heißt es manchmal. Ich sehe sie vielmehr als Pflicht. Gerade, weil Medien mit Glaubwürdigkeitsproblemen kämpfen.

Erfahrungsbericht

Was macht eigentlich ein Journalist im Lockdown?

Tim Ruben Weimer hat bisher beinahe seine gesamte Zeit bei der SZ im Homeoffice gearbeitet. Mit diesem Text zieht er ein Zwischenfazit.

Ein Reporter muss rausgehen zu den Menschen, er muss beobachten, live dabei sein, wenn Dinge passieren, er soll die Welt des normalen Durchschnittsbürgers genauso kennen wie den Alltag eines Politikers, muss fragen und dazwischen haken. Was aber, wenn sich das Leben der Menschen plötzlich nur noch in den eigenen vier Wänden abspielt, und – noch viel schlimmer – ich selber den Fuß auch nicht mehr vor die Tür setzen darf? Was macht ein Journalist im Lockdown?

Mein ehemaliger Redaktionschef erklärte mir in fast jedem unserer Gespräche, ich käme in einer besonderen Zeit. Im Oktober 2020 habe ich mein Volontariat bei der Sächsischen Zeitung begonnen, im November kam der bis heute andauernde Lockdown der zweiten Welle. Corona hat auch unseren Alltag verändert. Im „Haus der Presse“ herrscht kaum Betrieb, die Kantine ist menschenleer, im Erdgeschoss wurde ein Testzentrum eingerichtet. Die meisten Journalisten arbeiten im Homeoffice, meine Kollegen feierten letztens ihr einjähriges „Absenzjubiläum“ – mit einem kurzen Eintrag in unserem internen Chatforum und einem Bier-Emoji. Auch ich arbeite seit Anfang November im Homeoffice.

Komme ich in einer besonderen Zeit? Für meine Kollegen mag das vielleicht so wirken, für mich aber war es fast von Anfang an mein neuer, normaler Arbeitsalltag. Das tägliche Meeting über Teams ersetzt die Redaktionssitzung, die ich in Präsenzform noch nie miterlebt habe. Absprachen werden meistens über WhatsApp getätigt, es gab Tage, an denen ich den ganzen Tag keine einzige Stimme hörte – und das als Journalist!

Von den Kollegen meiner derzeitigen Volontariatsstation, an der ich seit Februar 2021 arbeite, habe ich nicht einen einzigen je „im echten Leben“ getroffen, eigentlich weiß ich von niemandem so recht, wie er oder sie tickt. Wenn ich mit jemandem über den Chat einen Scherz mache, besteht immer die Gefahr, dass mein Gegenüber meine Art von Scherzen überhaupt nicht versteht. Manch einen Kollegen hatte ich eine Zeit lang noch nicht einmal virtuell kennengelernt. Eine Vorstellung von ihm baute sich bei mir trotzdem auf – über die Farbe des Chat-Avatars, über seine Ausdrucksweise in den getippten Diskussionen, über die Smileys, mit denen er andere Beiträge kommentiert. Als er dann plötzlich erstmals in einer Videokonferenz auftauchte, brach meine bisherige Vorstellung von ihm zusammen. Ein bisschen wie auf Facebook, wo man auch (viel zu) schnell meint, andere Nutzer nur aufgrund deren Kommentare gut zu kennen. Manchmal stellt sich für mich die Frage: Werde ich bei meinen Kollegen eigentlich überhaupt irgendeinen Eindruck hinterlassen? Nehmen sie mehr von mir wahr als nur meinen Namen? Werde ich mich nach Corona noch einmal ganz neu vorstellen und etablieren müssen?

Meistens überwiegen die Nachteile in der Diskussion um die Arbeit im Homeoffice. Und auch bei mir muss ich sagen: Der strukturierte Arbeitstag, den ich in meinem einzigen Monat in eingeschränkter Präsenzarbeit noch kennenlernen durfte, ging mir schnell verloren. Auch in meiner Mittagspause bin ich nie ganz offline und luge mit einem Auge noch auf aktuelle Nachrichten, die gerade reinkommen – ich könnte ja gebraucht werden. Insgeheim bewundere ich aber manchen Kollegen, dessen Statusanzeige sich immer pünktlich zur Pause konsequent offline schaltet. Andererseits dauert es aber manchmal auch gefühlte Ewigkeiten, bis ein vorgeblich anwesender Kollege mir endlich in einer dringenden Sache antwortet. Im Büro hätte ich einfach kurz schauen können: Ach, er ist kurz auf dem Klo, dann gedulde ich mich noch kurz mit meiner Frage. So stehe ich dagegen häufig im digitalen Nirwana und suche verzweifelt nach einem Ausweg.

Was macht ein Journalist nun im Lockdown? Glücklicherweise lernen wir Volontäre nicht nur das reine Recherchieren und Schreiben von Artikeln. Es gibt auch Aufgaben, die sich problemlos im Homeoffice erledigen lassen, wie zum Beispiel das Verwalten von Social-Media-Kanälen, das Erstellen von Newslettern oder das Beantworten von Leserbriefen. Und selbst das Kerngeschäft, die Recherche, lässt sich erstaunlich gut vom heimischen Telefon aus betreiben. Was aber häufig wegfällt, sind die weichen, sozialen Komponenten der Geschichten. Wenn ein Protagonist zum Beispiel über ein besonderes Ereignis in seinem Leben spricht, dann wählt er dafür am Telefon andere Worte als bei einem Treffen bei Kaffee und Kuchen. Wenn er ungern über etwas sprechen möchte, dann lässt er sich am Telefon nur schwer umstimmen. Wer nicht gerne mit Journalisten spricht, kann mich am Telefon einfach wegdrücken, bevor ich ihm die Sache etwas verständlicher machen kann. Und die kleinen, subtilen Gesichtsregungen, die bei spannenden Gesprächen häufig die besondere Note geben (à la „er lächelte verschmitzt“), fallen komplett weg. Meine Artikel sind dadurch nicht etwa versachlicht, aber entmenschlicht worden. Protagonisten sind zu bloßen Informationsquellen geworden.

Ich gebe zu, die Gespräche bei Kaffee und Kuchen hat es natürlich trotz Lockdown gelegentlich gegeben. Vorneweg aber immer die Diskussion: Ist das Gespräch wirklich nötig, wo ist es luftig genug, dass wir uns treffen können, aber trotzdem nicht eisig kalt, und wie machen wir das mit der Maske? Und nein, nicht immer habe ich da die vorsichtigste Variante gewählt. Meine journalistische Neugier hat regelmäßig über meine Vernunft gesiegt, um dann im Nachhinein wieder kleinlaut beizugeben: Hoffentlich habe ich niemanden angesteckt.

So neu und schwierig der Lockdown für uns alle ist, eins muss ich doch feststellen: Manche Artikel hätte ich im „normalen“ Arbeitsalltag vermutlich nicht fertigstellen können. Ich habe das Privileg, eine eigene Wohnung zu haben, in der es still ist, wenn ich mich konzentrieren möchte. Wenn es an der Zeit ist, alle Fakten zusammenzutragen und einen Text zu formulieren, dann schaue ich gerne mal aus dem Fenster und beobachte für einen Moment die Leute unten auf der Straße. Die Ruhe gibt mir Inspiration, Zusammenhänge zu erkennen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und vor allem Fehler zu vermeiden. Es gab Texte – und ich hoffe, dass meine Kollegen das niemals lesen – die ich im Bett geschrieben habe – einfach, weil mir gerade danach war. Ich bezweifle, dass die Qualität darunter gelitten hat. Und wenn ein Artikel abends nicht gleich fertig sein musste, nutzte ich gelegentlich auch die Ruhe des späten Abends, um auf der Couch nochmal genauer über Formulierungen nachzudenken – ohne dafür ins Büro fahren zu müssen.

Ich sehe es als Vorteil, meinen Start in das Volontariat bei der Sächsischen Zeitung „in einer besonderen Zeit“ zu machen. Im Homeoffice bin ich der Chef, der bestimmt, wie und zu welchen Zeiten gearbeitet wird – dass die Ergebnisse stimmen müssen, versteht sich von selbst. Durch die Beschränkung auf das Telefon habe ich gelernt, mehr von mir als Mensch preiszugeben, um die Hürde der Distanziertheit zu nehmen. Umso mehr freue ich mich nun darauf, bald die „echten“ Gesichter meiner Kollegen kennenlernen zu dürfen und zu erfahren, dass alles, was ich hier geschrieben habe, vollkommener Unsinn ist und der Arbeitsalltag im Büro vor Ort doch viel angenehmer und produktiver ist, als ich es hier insgeheim angenommen habe. Dafür bin ich Journalist: Ich lerne täglich dazu.

Text: Tim Ruben Weimer

Erfahrungsbericht

Kommt Qualität wirklich von Qual?

So ist es zumindest auf einem Schild in der bekannten Henri-Nannen-Schule zu lesen? Angelina hat im Herbst zwei Monate die Journalistenschule besucht und findet, dass das so definitiv nicht stimmt.

Fast alle, die sich für Journalismus interessieren, kennen sie. Um die Henri-Nannen-Schule in Hamburg ranken sich Mythen und Gerüchte. Diese drehen sich vor allem darum, wie hart die Kurse, wie streng die Lehrenden und wie elitär die Absolvent*innen sein sollen. 

Wie alle Volontär*innen, wurde auch ich von der SZ nach Hamburg in genau diese Einrichtung geschickt. Ich hatte also die „Ehre“, eine der bekanntesten deutschen Journalistenschulen von innen zu sehen. Und was soll ich sagen, ich hatte eine gute Zeit. All die Sorgen, die ich zuvor gehegt hatte, sollten sich als unbegründet herausstellen.

Die Lehrenden waren zwar manchmal streng und die Tage lang, aber ich habe genau deshalb eine Menge gelernt. Allerdings nicht nur, wie man schnell gute Nachrichten schreibt, Menschen authentisch porträtiert oder klug argumentierte Kommentare schreibt, sondern noch vieles mehr. Zum Beispiel, dass es sich manchmal lohnt, für seine Meinung einzustehen. Auch vor viel erfahreneren Journalist*innen. Weil es oft eben doch wichtig ist, aus seiner eigenen Perspektive auf Themen zu blicken. Es gibt zudem oft kein richtig oder falsch. 

Außerdem sind die Kurse an der Henri-Nannen-Schule mittlerweile super multimedial ausgerichtet. Meine Dozent*innen haben mir also nicht nur das Schreiben beigebracht, sondern auch, wie mir das Internet fast alles verrät oder wie ich am Smartphone kurze Beiträge filmen und schneiden kann. Besonders hat mich dabei gefreut, dass neben vielen alten weißen und weisen Männern auch immer mehr junge Journalistinnen an der Schule unterrichten. Vorbilder sind einfach wichtig, selbst, wenn man schon längst erwachsen ist. 

Meine Übungsreportage habe ich übrigens nach allen Regeln der Kunst vermasselt. Mein Protagonist war ein homosexueller Geflüchteter, der sich in Ostdeutschland nicht so wirklich wohl fühlte. Meine Dozentin meinte bei der Besprechung zu mir, dass ich mein Thema so unglücklich gewählt hätte, dass es unmöglich sei, einen guten Text zu liefern. Vielleicht hätte ich eine meiner Reportage-Ideen also besser nicht an meinen Mitbewohner abgeben sollen. Er hatte sich für seinen Text zum ersten Mal die Brust waxen lassen und einen Erfahrungsbericht geschrieben, der wirklich unterhaltsam war. Andererseits wären mir so viel Schadenfreude und eine wichtige Lektion verwehrt geblieben: Eine Reportage braucht Bewegung. Die Handlung muss fließen, wie ein Fluss. Die Einsamkeit meines Protagonisten war eher ein trauriger See. Außerdem habe ich leider nicht wirklich viele Brusthaare. 

Im Übrigen hat nicht nur mein Mitbewohner von meinen offenbar sadistischen Ideen profitiert, sondern auch ich von all den anderen Schüler*innen. Denn wir alle hatten unterschiedliche Interessen und Lebensläufe und konnten eine Menge voneinander lernen. Im Februar werde ich das nächste Mal in Hamburg sein. Und auch wenn ich Dresden und die Arbeit bei der SZ liebe, freue ich mich schon jetzt darauf.

Erfahrungsbericht

Fridays for Praktikum

Die 16-jährige Cosima Schalk hat sieben Wochen Praktikum in der Stadtredaktion gemacht. Aus der Waldorfschule in die Stadtredaktion – hier schildert sie ihre Eindrücke.

Warum ein Praktikum bei der Lokalzeitung?
Schon seit ein paar Jahren konnte ich mir Journalismus als zukünftige Berufsrichtung vorstellen. Als das erste Mal die Zeit kam, von der Schule aus ein Praktikum zu machen, hatte ich aber gerade andere Pläne im Kopf. Zum Beispiel im Zoo oder in der Apotheke zu arbeiten. Jetzt, in der elften Klasse, wollte ich dann unbedingt zur Zeitung.

Was hat mich überrascht?
Ich wusste nicht, dass man als 16 Jährige Schülerin ohne Kenntnisse des Journalismus in der Redaktion überhaupt mehr als Zeitungen sortieren darf! Doch ich konnte Artikel schreiben, Menschen und Firmeninhaber interviewen und die Vielfalt des Journalismus richtig kennenlernen. Mich überraschte es, wie bereitwillig Menschen mit Fremden über persönliche Themen reden. Manchmal war ich so im Gespräch drin, dass ich die Zeit einfach vergaß.

Was hat mir Spaß gemacht?
In den ersten paar Tagen brauchte ich viel Mut, um die Sache richtig an mich zu reißen. Alleine an fremde Orte zu fahren, um fremde Menschen und ihre Arbeit kennen zu lernen war für mich neu, doch dabei wurden mir so viele Türen geöffnet: das Klärwerk, die Wildvogelauffangstation und den Dresdner Zoo zu besuchen waren unter anderem die Highlights aus den sieben Wochen. Das Praktikum ließ mich auch in so viele andere Jobs reinschauen.
Während ich meine ersten Notizen zu Berichten verfasste, dachte ich noch, dass jeder Mitarbeiter hier Wochen für einen Bericht braucht. Doch bald wurde mir klar, dass die Mitarbeiter pro Tag mehrere Berichte veröffentlichen und ich mir einfach zu viel Zeit ließ. Ich machte mir immer Gedanken, wie ich meine Sätze formulieren soll und wie sie am professionellsten klingen, doch im Endeffekt leben wir im Jetzt und nicht im 19. Jahrhundert.

Was werde ich mitnehmen?
Am Ende dieser kurzen Zeit werde ich diese Dinge mitnehmen: Wichtige Infos aufgreifen und merken, mit Leuten kommunizieren können und respektvoll seine eigene Meinung in die Welt zu setzen, das gehört alles dazu. Die Erfahrungen bestätigten meine Vorstellungen von der Arbeit und ich hoffe, ich kann in naher Zukunft weitere Zeit bei der SZ verbringen. 

Foto: Martin von Creytz/privat

Anmerkung: Wir bekommen oft Anfragen von Schüler*innen wegen Praktika. Darüber freuen wir uns, doch sind die Zeiten von zwei Wochen oft zu kurz, um euch wirklich etwas beizubringen. Im Falle von Cosima waren es sieben Wochen – und das für sie und für uns ein Glücksfall.

Erfahrungsbericht

Locked down in Görliwood

Max hat die Corona-Ausgangsbeschränkungen in einem Görlitzer Hausprojekt verbracht. Von Planlosigkeit, Bundespolizei und rechtsradikalen Pizzabäckern.

Die Stipo ist die Stille Post, ein Hausprojekt mitten in Görlitz. Eine alte Villa, kurz vor dem Abriss, um dem geplanten Kaufhaus-Projekt zu weichen (es soll ohne Witz ein Parkhaus hin – kannste dir nicht ausdenken). Fünf Leute, ein Hund und ich. Mein Zimmer eine Pritsche und ein Kohleofen, eine alte Kommode, ein aus Bierkästen und einem Brett gebauter Schreibtisch. Dafür gutes Internet. Das war auch entscheidend, weil Homeoffice. Gleichzeitig beschloss das Haus im Plenum, dass es solidarisch ist, sich an die Kontaktbeschränkungen zu halten. Jackpot.

Persönlich war es natürlich eine Wucht. Ich habe die Leute im Haus in den Wochen kennen und schätzen gelernt, sie waren so überhaupt nicht, wie man sich Görlitz vorstellt. Nur das Grillen im Garten geriet aus lauter Panik vor der Polizei zum Nervenkitzel. Seit dem Schließen der polnischen Grenze hatten die freie Kapazitäten (O-Ton Polizeisprecher) und waren deswegen fleißig mit Kontrollen beschäftigt. Im Minutentakt fuhren die Autos durch Görlitz, es war bizarr.

Was zur großen Herausforderung geriet, war der Journalismus. In eine fremde Stadt zu kommen und aus dem Nichts Themen zu finden, ist schon so ein Ding der Unmöglichkeit. Meine Strategie ist dann meistens, durch die Stadt zu laufen und Themen zu „suchen.“ Mit Ausgangsbeschränkung schwierig. Also verbrachte ich Stunden damit, auf dem Hausdach zu liegen, in den Himmel zu starren und mir interessante Fragen über Görlitz aus dem Hirn zu saugen. Gute Übung. Aber verdammt anstrengend.

Dazu noch die alles erstickende Monothematik. War es am Anfang noch faszinierend, jedem Hinweis auf das Virus nachzugehen, wurde es nach einigen Woche zäh wie Kaugummi. Es passierte ja nichts. Und die fünfhundertste Story zu schreiben, wie Gastronom XY jetzt leidet? Wer liest sowas? Da war der Pizzabäcker, der wegen Corona (an das er nicht glaubt, alles gesteuert) seinen Lieferando-Vertrag gekündigt hat, noch eine willkommende Abwechslung. Das Gespräch war zwar etwas unangenehm (AfD yay, Geflüchtete ney, alle anderen korrupt), aber immerhin etwas.

Doch gerade wegen dieser intensiven Zeit, war der Abschied aus Görlitz echt schwer. Und obwohl ich am Anfang gar nicht dorthin wollte, hab ich im Zug zurück nach Hause nicht nur eine Träne verdrückt. Görlitz ist eine faszinierende Stadt. Echt jetzt.

Erfahrungsbericht

Der Oscar im Monat

Theorie und Praxis sind selten einer Meinung. Das müssen auch angehende Journalist*innen lernen. Es ist doch so: Eigentlich will man die großen Themen bearbeiten, wegweisende Essays verfassen und Reportagen schreiben, die Leser*innen die Tränen in die Augen treiben. Was ich lernen musste: Solche Texte sind eher die Ausnahme. Woran liegt das? Und ist das schlimm?

Bei unserer Volo-Schulung bei SZ-Chefreporterin Karin Großmann (vermutlich die beste Schreiberin der Sächsischen Zeitung) erwähnte sie im Nebensatz eine alte journalistische Weisheit: „Es gibt einen Oscar im Monat“. Das soll bedeuten, dass man im Durchschnitt im Monat einen Text schreibt, auf den man so richtig stolz ist und vermutlich auch sein kann. Denn ein Großteil unserer Arbeit ist das Tagesgeschäft: Baustellen, Veranstaltungen, Rezensionen, aktuelle Ereignisse. Da bleibt wenig Zeit für die eigenen, großen Geschichten.

Doch schlimm ist das keinesfalls, denn es ist der Kernteil unserer Arbeit bei einer Tageszeitung. Spiegel-Reporter*innen geht das natürlich anders, aber deren täglich Brot hat mit unserem verblüffend wenig zu tun. Und letztlich muss man gestehen, dass in diesen großen, eigenen Geschichten meist viel Zeit und Mühe steckt. Und dann werden sie gedruckt, die Tinte trocknet und schon am Nachmittag des nächsten Tages landen sie in der Papiertonne.

Das ist das Schicksal einer Tageszeitung, natürlich. Mein Oscar des Monats Juli war die Geschichte Wie ein Dorf zerfällt über die umstrittenen Umtriebe eines Investors im kleinen Dorf Taubenheim bei Meißen. Diese Geschichte stand drei Wochen bei mir im Block, beinhaltete unzählige Telefonate und Besuche vor Ort. Am Ende war sie gut, und ich darf zugeben dass ich ein wenig stolz drauf bin. Doch würde ich ausschließlich solche Dinge schreiben, wäre die Zeitung schlicht leer. Kosten und Nutzen stehen in keinem wirklichen Verhältnis, was schade, aber die Realität einer Tageszeitung ist. Oder?

Bei der SZ ist das Interesse an solchen Geschichten sehr groß und die Reaktionen positiv. Und was man auch merkt: Es sind genau solche Themen und Texte, für die unsere Leser*innen Digitalabos abschließen. Nur für die Geschichte aus Taubenheim wurden gleich zwei abgeschlossen. Und wenn jede*r Journalist*in bei uns einen Oscar im Monat produziert, dann tut das unserer Zeitung so richtig gut. Also: Nicht entmutigen lassen. Die Killer-Reportage wartet schon hinter der nächsten Ecke!